Literaturforum am 7. Oktober 2025

Samantha Harvey: Umlaufbahnen / Alan Murrin: Coast Road


  • Samantha Harvey: „Umlaufbahnen“, München 2024, dtv
  • Alan Murrin: „Coast Road“, München 2024, dtv

Diesmal stehen zwei Romane aus Großbritannien und Irland zur Diskussion. Den Iren Alan Murrin konnten Sie schon im Sommer auf unserem Festival „Ins Offene: Die Fiktion fürchtet nichts“ kennenlernen und einen Einblick in seinen Roman „Coast Road“ erhalten. Für diesen wurde er im Jahr 2024 bei den Irish Book Awards mit dem „Newcomer oft he Year“ ausgezeichnet.

Samantha Harvey, die in Bath lebt, erhielt ebenfalls im letzten Jahr für „Umlaufbahnen“ den Booker Prize, den wichtigsten britischen Literaturpreis. Es ist ein sehr außergewöhnlicher Roman.

Alan Murrin begibt sich mit „Coast Road“ in das Jahr 1995 in eine Kleinstadt an der irischen Küste, Ardglas. Es ist die Zeit kurz vor dem Referendum über die Zulässigkeit von Ehescheidungen auf der Grünen Insel.

Der Lebensstil von Colette Crowley, einer eigenwilligen Dichterin, ist Gegenstand von Klatsch und Trasch in der kleinen Stadt: So hat sie ihren Mann Shaun Crowley verlassen und ist von Ardglas weg- und zu einem anderen Mann gezogen. Nun ist sie wieder vor Ort und hat sich in ein Häuschen in der Coast Road eingemietet. Denn das Verbot ihres Mannes, ihre Kinder zu treffen, quält sie. Die attraktive Frau, die ihren Kummer in Alkohol ertränkt, wird nicht nur Opfer übler Nachrede, sondern auch von männlichen Nachstellungen. Die einzige Bekannte, die ihr vor Ort hilft, ist Izzy Keaveney, Hausfrau und zweifache Mutter. Diese ist mit der Ehe, die sie mit ihrem Mann James, einem Lokalpolitiker, führt, mehr als unglücklich. Colette lässt sich mit einem verheirateten Mann auf eine Affäre ein – ein Drama nimmt seinen Lauf…

Beeindruckt haben mich von Beginn an die Empathie und der Scharfblick, mit denen Murrin sich seinen weiblichen Figuren nähert. Er entwickelt sehr feinsinnig ihre Gefühlswelt und erzählt von den Strukturen, die es ihnen nicht möglich machen, sich von Männern zu befreien. – Alles nicht mehr aktuell?

„Umlaufbahnen“ erzählt von einem Tag irdischer Zählweise in einer Raumstation, vergleichbar der ISS: 400 Kilometer über der Erde, 28.000 Kilometer in der Stunde schnell, umkreisen in ihr sechs Menschen in dieser Zeit 16-mal den Blauen Planeten. 16-mal Sonnenauf- und -untergang.

Die zwei Frauen und vier Männer müssen sich immer wieder des 24-Stunden-Tages vergewissern, denn „der Weltraum zerschreddert die Zeit.“ Die Arbeit, die sie an Bord zu erledigen haben, gibt ein wenig Struktur: Trainingsstunden, um zu verhindern, dass die Muskeln völlig schwinden, Experimente, u.a. an Mäusen, Wetterbeobachtungen, Daten sammeln, das Raumschiff in Schuss halten…

Es ist eine internationale Gemeinschaft, die aus der engen Titankapsel auf die Erde blickt: Anton und Roman sind russische Kosmonauten, Shaun ist Amerikaner, Pietro Italiener, Nell Engländerin und Chie Japanerin. Ihren Gedanken folgt die Autorin und wechselt die Erzählperspektiven. So, wie die sechs Astronaut*innen und Dinge, die nicht befestigt sind, durch den Raum schweben, gleitet mit dem Blick auf die vorbeiziehende Welt, ihre Natur und deren vom Menschen verursachte Zerstörung auch ein Satz zum anderen. Mit jeder Umlaufbahn beschreibt Harvey erneut, was die Menschen dort oben sehen: Ein Nature Writung aus einer Perspektive, die es in dieser Form noch nicht gegeben hat. Für die/den Lesende/n mag sich dabei Entschleunigung oder Unruhe ob der Tatsache, dass sich die Beschreibungen in Abwandlungen wiederholen, einstellen: Wie war es bei Ihnen?

 (Hinweis: Das ist an dieser Stelle nicht als „vollständige“ Rezension des Romans gedacht.)

 

Rita Thies