Bitte nicht erschrecken, es kann keiner was dafür. Zu den Lieblingsbüchern von Wadimir Putin zählt der „Der kleine Prinz“ von Antoine de Saint-Exupéry.
Wir wissen dies, von dem viele jetzt meinen, dass sie es gar nicht wissen wollten, durch die russische Propaganda-Seite „Russia Beyond“. Russia Beyond war 2007 gegründet worden mit dem Ziel, „der Welt zu helfen, Russland besser zu verstehen.“ Die Internet-Seite – auch in Deutsch – ist keine Plattform für polternde Agitation und Medwedjew-Sprech. Sie hat ganz praktische Themen, wie man z. B. auch ohne Master- oder Visacard im internationalen Zahlungssystem zurechtkommt, dank des russischen Zahlungssystems MIR, das „immer mehr an Bedeutung gewinnt“. Mit bunten Bildern von Eisbrechern wird ein Bericht illustriert, der die Notwendigkeit der Nord-Ost Passage für Russland herausstreicht. Und ob Stalin wirklich eines natürlichen Todes gestorben ist …?
Für alle was dabei. Wäre „Russia Beyond“ aus Papier, fände es in jedem Wartezimmer und bei jedem Friseur seinen Platz. In ihrem „Über uns“ weist „Russia Beyond“ darauf hin, von der ‚Roskomnadsor‘ der föderalen Aufsichtsbehörde im Bereich Kommunikation, Informationstechnologie und Massenkommunikation, am 21.Juli 2023 registriert worden zu sein. Zertifikatsnummer: EL NoFS77-85596. Eine kremltreue publizistische Seele, kein ausländisches Agententum.
Dann verrät uns „Russia Beyond“, was Putin liest. In prädigitalen Zeiten haben Journalisten dies Star Fucking genannt. Und?
Es sind nicht nur russische Volksmärchen, Tolstois „Krieg und Frieden“ und alte Schinken über Mongolen und Turkvölker, es ist auch Alexandre Dumas und seine „Drei Musketiere“, Dostojewski, Puschkin, Turgenjew – sie waren auf verschiedene Weise alle schon mal in Wiesbaden – oder Hemingway (muss einen nicht wundern: „Wem die Stunde schlägt“). In ihrer deutschen Fassung erwähnt „Russia Beyond“: auch Heine und Goethe lese E R hie und da. Und dann eben dieses kleine Büchlein. Der Junge mit den goldenen Haaren, Sonne, Mond, Saturn auf dem Cover und Blumen neben dem Vulkanausbruch.
Diese berührende Geschichte über einen Bruchpiloten, die hilfreiche Schlange, den weisen Fuchs und die Erkenntnis, dass man nur mit dem Herzen gut sieht – das soll die Lieblingslektüre eines Menschenfeindes sein?
Bei bösen historischen Figuren ist das Publikumsinteresse an ihren kulturellen Vorlieben oft größer als bei everybody‘s darling-stars. Es wird – einmal bedient – bei den meisten nicht lange vorhalten, dieses Interesse. Weil?
Weil man eben nicht möchte, dass Putin einem aus dem „Kleinen Prinzen“ vorliest. Schon allein die Vorstellung ist mit intellektuellem Mundgeruch noch vorsichtig umschrieben.
Man kann Literatur nicht vor den Lesenden schützen. All die Erwartungen an Bücher, an die neuen Sichtweisen, die man für sich gewinnen könnte, warum sollte dies Menschen, die wir für bösartig halten, verschlossen bleiben? Der wichtigste Grund, in Erzählungen einzutauchen, ist die Option, diese Welt danach – manchmal nur etwas – verändert anzusehen. Arbeit am eigenen Weltbild. Dazu lädt gute Literatur ein und macht sich n i c h t die Gehirne ihrer Leserschaft litaneienhaft zur Beute. Sie entkleidet, und bietet ein neues Gewand an, auch wenn es – metaphorisch – nur ein Schnupftuch sein sollte.
Und „Der kleine Prinz“, der so fremd auf einem Nachttisch im Kreml liegt, muss das wahrscheinlich aushalten. Man möchte wünschen, dass dieses literarische Meisterwerk dort zu d e r Rose wird, die der kleine Junge von den sieben Planeten so sehr liebt und die diese Liebe nicht erwidert, sondern stachlig bleibt. Aber ein Buch ist ein Buch und Leser*innen bleiben Leser*innen. Tapferer kleiner Prinz.
Foto: Kreml-Mauer in Moskau c: Wikimedia Commons