Mirko Bonné: „Seeland. Schneeland“

02.05.2021 / Förderverein Literaturhaus Wiesbaden


Für alle Freund*innen des langsamen, aber opulenten Erzählens ist „Seeland. Schneeland“ von Mirko Bonné ein kleines Lesefest. Wer hingegen eine rasche Entwicklung des Plots und schnelle Schnitte vorzieht, der wird bei diesem Roman eher nicht auf seine Kosten kommen. Denn nicht umsonst spinnt der Autor in seiner Geschichte Fäden zu Tolstoi oder zitiert Pasternak. – Es ist ein Roman voller Sehnsuchtsgeschichten in einer Zeit großer Umbrüche in Europa, in dem sowohl der Erste Weltkrieg als auch die Spanische Grippe ihre zerstörerischen Spuren hinterlassen haben.

Der noch junge Merce Blackboro ist nach einigen Reisejahren, die er unter anderem mit dem Polarforscher Ernest Shackleton auf einer Antarktis-Expedition verbracht hat, wieder daheim in Newport an der walisischen Küste. Er arbeitet im Kontor seiner Familie, doch seit seiner Reise fehlt ihm seine innere Mitte, er ist antriebslos. Zudem ist er unglücklich verliebt. Ennid Muldoon, das Subjekt seiner Begierde, hat ihn abgewiesen. Denn sie trauert ihrem Verlobten hinterher, einem Jagdflieger, der in den letzten Zügen des Krieges umgekommen ist. So beschließt Ennid, Newport zu verlassen, sich auf dem Ozeandampfer „Orion“ einzuschiffen und nach Amerika auszuwandern, dem Sehnsuchtsland vieler, die die europäischen Schrecken hinter sich lassen wollen. Tolstois „Anna Karenina“ im Gepäck. Sie macht sich auf. – Ihr plötzlicher Weggang weckt neue Energien in Merce, er reist ihr hinterher, will Ennid in Rotterdam abfangen …

Im Februar 1921 tobt ein Schneesturm vor der Nordküste der britischen Insel und bringt das Auswandererschiff mit 1900 Menschen in Seenot. Die unbezwingbaren Naturgewalten machen nicht nur den Dampfer manövrierunfähig, sondern fordern auch von den Reisenden, sich der Katastrophe zu stellen. So zum Beispiel den milliardenschweren Hotel-Tycoon Diver Robey. Der ständig trinkende USA-Amerikaner hat Europa besucht, um ein Flugzeug zu finden, das sich für den Transport größerer Passagiermengen über den Atlantik eignet. Ständig auf der Jagd nach etwas, was ihn tatsächlich ausfüllt, lebt er mit seinen finanziellen Mitteln hemmungslos seine Launen aus. Er hat nach einem Streit mit dem Kapitän an Bord kurzerhand die „Orion“ gekauft und in „Sealand“ umgetauft …

– Mehr sei an dieser Stelle nicht preisgegeben von diesem Roman und der Suche der Figuren nach ihren Lebensschicksalen.

Hören Sie hier nun ins Buch hinein, um einen Eindruck von der ausgereiften Erzählweise des Autors zu bekommen. Oliver Wronka liest das vierte Kapitel aus „Seeland. Schneeland“

Text: Rita Thies


Mirko Bonné: „Seeland. Schneeland“. Schöffling & Co. Verlagsbuchhandlung GmbH, Frankfurt 2021 (444 Seiten, 24,- Euro)

Mirko Bonné, geboren 1965 in Tegernsee, lebt als Schriftsteller und Übersetzer in Hamburg. Sein vielfältiges Oeuvre umfasst neben viel beachteten Romanen Gedichtbände, Erzählungen, Aufsätze und Reisejournale. Für sein Werk wurde er unter anderem mit dem Prix Relay (2008), dem Marie Luise Kaschnitz-Preis (2010) sowie dem Rainer-Malkowski-Preis (2014) ausgezeichnet. Mirko Bonné ist Mitherausgeber des Jahrbuchs der Lyrik 2019. Er übersetzte neben Sherwood Anderson, Jospeh Conrad, Emily Dickinson, John Keats, Grace Paley, Henry James und William Butler Yeats zahlreiche weitere Autoren aus dem Englischen und Französischen.

Oliver Wronka, Schauspieler und Regisseur, wurde in Freiburg geboren und lebt in Wiesbaden. Er studierte Anglistik und Romanistik in Freiburg sowie Schauspiel an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin. Es folgten zahlreiche Engagements an renommierten Schauspielhäusern, darunter dem Hessischen Staatstheater. Von 2010 bis 2014 war er Leiter des Jungen Staatstheaters Wiesbaden. Seit 2014 arbeitet er frei als Berater für Kommunikation, Regisseur, Schauspieler und Sprecher.

Die Lesung erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Schöffling & Co Verlagsbuchhandlung GmbH. Ihr und dem HMWK danken wir für die Unterstützung des Projekts.

Gefördert aus Mitteln des HMWK „Hessen kulturell neu eröffnen“, Projekt „Literaturdigialog Hessen“