Sacha, ein alleinstehender Schriftsteller, entschließt sich im Alter von rund vierzig Jahren, sein Leben noch einmal grundlegend zu ändern und einen Ortswechsel zu vollziehen. Er verlässt Paris und zieht sich in eine kleine Stadt irgendwo in der Provence zurück, um in Ruhe zu arbeiten, „vielleicht wiedergeboren zu werden.“
Dort in V. trifft er einen alten Freund wieder, zu dem er seit siebzehn Jahren keinen Kontakt mehr hat. „Der Anhalter“, so nennt ihn der Ich-Erzähler Sacha, ist ein Freund, mit dem er in seiner Studienzeit unentwegt getrampt ist. Ein Freund, zu dem er irgendwann bewusst Distanz gesucht hat, als ihm dessen Abenteuerlust zu viel geworden ist. „Lebe, sagte der Anhalter immer zu mir. Lebe erst mal, danach wirst du schreiben.“ – Ein Imperativ, der nicht Sachas ist.
Überrascht ist Sacha nun von der Tatsache, dass der Anhalter eine Familie hat: Marie, eine Übersetzerin italienischer Literatur, und den gemeinsamen Sohn Augustín, noch im Grundschulalter. Sacha besucht sie und stellt dabei fest, dass es den Anhalter immer noch auf die Straßen treibt, er durch die Gegend trampt. Was ihn lockt – hören Sie selbst, es liest Ulrich Cyran*:
Je mehr Sacha den Kontakt zu der kleinen Familie ausbaut, umso mehr nutzt der Anhalter die Gelegenheit loszuziehen. Immer länger bleibt er von Zuhause fort, auch Anrufe und Postkarten werden mit der Zeit immer weniger. Dabei ist sich Sacha sicher, dass sein Freund nicht vor Marie und Augustín flieht, sondern beide inniglich liebt. Doch das Abenteuer, neuen Menschen beim Trampen zu begegnen, möglichst viele Leben zu berühren, zieht ihn fort. Sacha zieht es zu Marie, und ihr Verhältnis zu den beiden Männern verändert sich ebenfalls …
„Allerorten“ ist ein Roman, der in einer unbefangenen, fast spielerischen Leichtigkeit daherkommt, das ist wohltuend zu lesen. Vor allem, da Prudhomme blitzgescheit die beiden Protagonisten zeichnet, indem er von ihren manchmal zufälligen und zutiefst unterschiedlichen Lebensentscheidungen erzählt, sich einfühlt und nicht wertet. So scheinen die Dinge einfach zu passieren… und uns ganz unauffällig zu fragen, wie wir es denn mit unserer Sehnsucht und dem halten, was uns tatsächlich glücklich macht.
Text: Rita Thies
Sylvain Prudhomme: Allerorten, Unionsverlag 2020, 253 Seiten, 22 Euro
Weitere Informationen beim Unionsverlag
*Ulrich Cyran, der 1956 in Erwitte geboren wurde, absolvierte seine Schauspielausbildung an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Hamburg. Als Theater-Schauspieler war er u.a. am Staatstheater Wiesbaden und Darmstadt, an der Internationalen Kulturfabrik Kampnagel, den Sophiensälen in Berlin und am Mousonturm in Frankfurt zu sehen. Seit vielen Jahren steht er vor der Kamera, u. a.in der Fernseh-Krimireihe „Tatort“, in der Filmkomödie „Vorwärts Immer“ von Franziska Meletzky und in „Südstadt“ von Matti Geschonneck.
In den letzten zwei Jahren spielte er am Staatstheater Darmstadt, Pfalztheater Kaiserslautern und aktuell am Staatstheater Mainz und an der HfMdK Frankfurt spielte er die Titelrolle aus Büchners Lenz. Aktuell steht er für die ZDFneo Serie Void vor der Kamera.
Wir danken dem Ortsbeirat Südost (Wiesbaden) und dem Unionsverlag für die Unterstützung dieses Projekts.