Iris Atzwanger liest aus dem Roman der südafrikanischen Autorin
„Der siebte Sinn ist der Schlaf“ ist der bekannteste Roman der 1933 in Südafrika geborenen und in Kapstadt lebenden Autorin, Schauspielerin und Übersetzerin Wilma Stockenström. Das 1981 in Afrikaans verfasste Werk wurde von J. M. Coetzee ins Englische übersetzt und weltberühmt. Aktuell hat der Verlag Klaus Wagenbach den zutiefst berührenden und exzeptionellen Roman in diesem Jahr auf Deutsch neu herausgegeben. Eine gute Gelegenheit, die Literatur dieser bei uns wenig wahrgenommenen, außergewöhnlichen Schriftstellerin kennenzulernen.
Die Ich-Erzählerin in „Der siebte Sinn ist der Schlaf“ ist eine ehemalige Sklavin, die in der Wildnis im Landesinneren in einem hohlen Baobab lebt. Dieser afrikanische Affenbrotbaum ist ihr letzter Zufluchtsort. Ein riesiger Baum, Sinnbild ewigen Lebens. Ohne Kontakt zu Menschen, die ihre Sprache sprechen, sieht sie lediglich ab und an die „Kleinen Menschen“ (südafrikanische San), deren Worte sie nicht versteht, die ihr kleine Gaben vor den Baum legen.
Im Innern des Baums tritt die Erzählerin nun Reisen in ihr eigenes Inneres, ihre Erinnerungen, an. Dabei kämpft sie gegen die Zeit, denn die Chronologie ist aufgehoben, die Bilder und Empfindungen des Gewesenen sind gleichzeitig gegenwärtig. Und doch setzt sich für die Lesenden nach und nach ihre Geschichte zusammen: Ein Mädchen aus einem kleinen Dorf, das gefangen, an die Küste verschleppt und versklavt worden ist. Jung wird sie an den ersten Mann verkauft, einer, der allein an ihrer Entjungferung interessiert ist. Danach wird sie weitergegeben an einen brutalen Besitzer, dann an einen „Wohltäter“ und schließlich an den „Fremden“, den sie auf der Expedition ins Landesinnere begleitet. Eine Reise, von der sie beide nicht mehr zurückkehren …
Das Bemerkenswerte an dieser Frau ist, dass sie trotz all der Gewalt, die sie erfahren hat, der Erfahrung, lediglich Besitz und nie Mensch zu sein, sich ihr Selbst nie nehmen lassen hat. So formen sich ihre Gedankenreisen zu Worten, schaffen Bewusstsein.
Hören Sie die ersten zwölf Seiten des Romans, die wir Ihnen mit freundlicher Genehmigung des Verlag Klaus Wagenbach präsentieren dürfen. Es liest Iris Atzwanger*.
Text: Rita Thies
Wilma Stockenström: Der siebte Sinn ist der Schlaf, Verlag Klaus Wagenbach 2020, 155 Seiten, 18 Euro
Weitere Informationen: www.wagenbach.de
*Iris Atzwanger wurde in Innsbruck geboren, wo sie zunächst ein medizinisch technisches Studium mit Diplom abschloss. Sie arbeitete 3 Jahre als Röntgenassistentin und schloss parallel dazu die Schauspielschule am Landestheater ihrer Geburtsstadt ab, wo sie auch erste Bühnenerfahrungen machte. Es folgten 20 Jahre Festengagement an den Städtischen Bühnen Regensburg, Landestheater Salzburg, Stadttheater St. Gallen, Schauspiel Dortmund und zuletzt 6 Jahre Staatstheater Wiesbaden. 1995 erhielt sie den „Bajazzo“ – den Förderpreis der Stadt Dortmund.
Seit 2006 arbeitet sie als freie Schauspielerin u.a. am Staatstheater Wiesbaden, Staatstheater Mainz, Fritz Remond Theater Frankfurt, Komödie Frankfurt, Stadttheater Bielefeld und den Burgfestspielen Bad Vilbel. Iris Atzwanger arbeitet zudem als Synchronsprecherin, seit 2013 als Regisseurin und seit 2015 ist sie Leiterin der Schauspielabteilung und Dozentin an der Musical Arts Academy in Mainz.
Wir danken dem Ortsbeirat Südost (Wiesbaden) für die Unterstützung dieses Projekts.