„Anstatt ich Euer Gast bin, seid Ihr jetzt meine Gäste“

27.04.2020 / Viola Bolduan


Rasha Habbal, warum haben Sie sich für das „Weiterschreiben-Stipendium Wiesbaden“ beworben?

Ich habe auf das Stipendium lange gewartet und bin sehr glücklich, dass ich es bekommen habe. Das Stipendium war für mich ein Ziel, nach dem ich gestrebt habe, und ich bin sehr stolz darauf, es erreicht zu haben. Dieses Stipendium unterstützt sowohl meinen beruflichen als auch ganz persönlichen Werdegang. Des Weiteren verringert es die finanziellen Sorgen einer Autorin am Anfang ihrer Karriere. Obwohl finanzielle Sorgen auch herausfordern können, bleiben doch die täglichen Ausgaben (z. B. Miete, Arztkosten usw.). Diese Situation lässt keine Zeit, angstfrei zu schreiben.

Wie sind Sie auf dieses Stipendium aufmerksam geworden?

Ich habe die Information über die Ausschreibung des Stipendiums aus drei verschiedenen Quellen erhalten: Von der Schriftstellerin Widad Nabi, die bereits das Stipendium erhalten hat; über das Frauenkulturbüro NRW und aus einer Email des Projektes „Weiterschreiben“ an interessierte Autoren durch die Projektleiterin des Instituts „Wir machen das“.

Sie haben schon einmal in Wiesbaden im Literaturhaus gelesen – welche Erinnerungen haben Sie daran?

Ein wichtiger Teil meiner Erinnerung an diesen Ort, bezieht sich auf die dort kennengelernten Menschen, mit denen ich einen schönen Abend teilen durfte. Die Fragen der Gäste in Wiesbaden drehten sich nicht nur um „Flucht“ sondern um die Texte, die ich mit Lina Atfa und Widad Salom vorgelesen habe. Die Gespräche gingen nach der offiziellen Veranstaltung bei Wein und Zigaretten weiter. Es war unkompliziert, mit den Leuten zu reden und auch Witze zu machen.

Von Mai an wollten Sie drei Monate als Stipendiatin hier verbringen – die Schließung des Literaturhauses, in dem Sie die Atelierwohnung beziehen sollten, und der Ausfall aller öffentlichen Veranstaltungen aufgrund der Corona-Krise verhindern das jetzt. Wie stellen Sie sich die Zeit Ihres Stipendiums denn nun vor? 

Ich hoffte, die Stadt näher kennen zu lernen. Die Gedanken, die mich dabei beim Texte schreiben inspiriert hätten, wollte ich der Stadt widmen. Ich hoffte auch, nähere Kontakte zu Ihren Einwohnern zu bekommen. Die aktuelle Situation hat dies jedoch verhindert. Allerdings führt dies zu einem unerwarteten Abenteuer, z. B. mache ich regelmäßige Videoaufnahmen aus dem privaten Gartenzimmer. Dieses Zimmer habe ich in ein Büro umgewandelt, in dem ich in diesem Sommer ungestört schreiben will. Anstatt ich jetzt Euer Gast bin, seid Ihr jetzt meine Gäste.

Arbeitsraum Rasha Habbal (Foto: © Rasha Habbal)

Welche literarischen Themen wollen Sie bearbeiten? 

Ich möchte an Prosatexten weiterarbeiten, mit denen ich direkt nach der Flucht angefangen, aber noch nicht beendet habe.

Sie haben 2015 Ihre syrische Heimat verlassen müssen und sind seitdem in Deutschland – wie haben Sie sich inzwischen hier eingelebt?

Sicherlich habe ich angefangen, mich an das Leben hier zu gewöhnen, mein Leben neu zu sortieren und einen Leitfaden für die nahe Zukunft zu erstellen. Ich bin entspannter und offener, auch mutiger geworden. Und ich habe keine Angst um meine Kinder, bevor ich ins Bett gehe. Es ist viel passiert in kurzer Zeit: Krieg, Flucht, ungewisse Zukunft und Neustart.

Warum hat es Sie nach Ihrer Flucht ausgerechnet nach Trier verschlagen?

Ich hatte keinen Einfluss darauf. Mein „Schicksal“ hat ein Beamter im Flüchtlingsaufnahmelager Lebach (Saarland) auf Grundlage eines Verteilplanes entschieden. Ich kannte die Stadt vorher nicht. Aber wenn ich die Wahl hätte, würde ich sie heute wieder auswählen. Trier ist eine Stadt mit Herz und Seele, wie meine Heimatstadt Hama.

Sie sehen Ähnlichkeiten zwischen Trier und Ihrer Heimatstadt Hama – welche sind das, und hilft es, heimisch zu werden?

Es gibt viele Ähnlichkeiten zwischen den beiden Städten, sie sind beide mein Schicksal. Sie wurden für mich „ausgesucht“. Beide wurden von den Römern gegründet, werden von einem Fluss geteilt, über den eine steinerne Brücke führt. An manchen Abenden nach Sonnenuntergang sind die Unterschiede nicht zu erkennen, erscheinen die beiden Städte wie Zwillinge.

Als Schriftstellerin wissen Sie um den Wert der Sprache. Wie gut beherrschen Sie schon die deutsche?

Ich denke, das ist die schwierigste Frage von allen. Ich habe bisher B2-Niveau erreicht. Und weil ich weiß, wie wertvoll die Sprache ist, denke ich, ich brauche längere Zeit, um ohne innerliche Angst frei zu sprechen. Diese Angst weicht mit zunehmendem Erfolg und Selbstbewusstsein.

Wie geht es Ihnen in diesen Corona-Zeiten?

In den letzten beiden Monaten hat uns diese Krise weltweit in Angst vereint. Die Natur gibt uns eine harte Lektion und bestraft uns heftig. Wir beobachten ungläubig die Geburt eines neuen, wichtigen Lebensstils. Vor zwei Monaten bedeutete das Leben, freie Beweglichkeit, soziales Engagement. Jetzt findet Leben in Isolation statt, Arbeiten können nur von zuhause erledigt werden. Diese Isolation ist jetzt keine selbstgewählte Option, sondern bedeutet Verantwortung gegenüber der Menschheit im Ganzen, und dass das Leben weiter geht.