Der Präsident liest nicht

14.05.2019 / Viola Bolduan


Herr Lanzendörfer, „Was liest man im Zeitalter Trumps?“ ist Titel der Veranstaltung am 15.05. im Wiesbadener Literaturhaus – können Sie sich vorstellen, ob und wenn ja, welche Bücher Präsident Trump selbst liest?

Der Präsident hat ja selbst schon kundgetan, dass er zu wenig Zeit habe, um „ganze Bücher“ zu lesen, und sein Ghostwriter vermutet, dass Trump nicht mal „seinen“ Bestseller „The Art of the Deal“ ganz gelesen habe. Ich würde also sagen: eher nein.

Welche Art von Literatur möchten Sie ihm empfehlen?

Im Prinzip finde ich es ziemlich egal, was er lesen sollte, solange er liest. Aber wenn man es sich wünschen dürfte, würde ich ihm Bücher ans Herz legen, die das Leben derjenigen darstellt, denen er am meisten Schaden zufügt.

Die Romane, die in der Diskussion vorstellt werden, stammen von vier verschiedenen Autorinnen und Autoren, aus unterschiedlichen Zeiten und behandeln je eigene Themen – was aber verbindet sie trotzdem?

Darauf bin ich selber gespannt! Ich kenne ich zumindest drei der Bücher, und denke, dass sie alle Vorstellungen von den akuten Problemen vermitteln, mit denen Menschen heute zu kämpfen haben, und das komplett unabhängig von ihren Genres und den Zeiten und Orten, an denen sie geschrieben wurden.

Wie und warum ist die Idee zu dieser Veranstaltung entstanden?

Die Veranstaltung war von einem sehr frühen Moment Teil der wissenschaftlichen Tagung. Wir wollten herausfinden, ob man einen erfolgreichen Brückenschlag zwischen dem wissenschaftlichen Arbeiten und einem breiteren Publikum finden kann, und wenn ja, wie. Grundsätzlich wünschen wir uns für das Format, ein wenig von dem Fachwissen in die Öffentlichkeit zu bringen, dass die Disziplin der Literaturwissenschaft so erwirtschaftet.

In welcher Funktion waren Sie dabei tätig?

Ich bin einer der beiden Organisatoren der Tagung in Mainz und war der Ansprechpartner für das Literaturhaus. Ich beschränke meine Funktion in Wiesbaden aber auf eine (hoffentlich) unaufdringliche Moderation des Ganzen.

Was kann Literatur und was eine Diskussion über Romane bewirken?

Das bleibt die entscheidende Frage, die uns auch umtreibt. Der deutsche Literaturwissenschaftler Ottmar Ette spricht seit geraumer Zeit von der Literatur als „Überlebenswissenschaft“, oder zumindest als „Lebenswissenschaft“ und meint damit, dass die Literatur uns Handreichungen, Mittel, Ideen, aber auch emotionalen Halt gibt. Ich denke, das kann man gut nachvollziehen, wenn man Literatur nicht nur primär als „etwas zum Lesen“ versteht, sondern erst mal als Kommunikation, als Geschichtenerzählen. Geschichten erklären uns die Welt, und man könnte sogar sagen, Geschichten über die Welt sind nicht viel anderes als die Welt selbst. Literatur erzählt uns etwas über die Welt, liefert Interpretationen der Welt und unterhält dabei. Und indem sie uns etwas über die Welt erzählt, verändert sie auch, wie wir der Welt gegenüberstehen.

 

 

Was kann Literaturwissenschaft hierfür tun?

Hinter der Idee einer Diskussion dieser Texte mit Literaturwissenschaftlern steht die Hoffnung, dass wir damit etwas von dem Spezialwissen und den Kompetenzen, die wir uns angeeignet haben, in die Welt bringen können. Literaturwissenschaftler lesen anders als „normale“ Leser: wir haben mehr Zeit, die historische Einordnung vorzunehmen, und wir lesen „dicht“, also mit viel Fokus darauf, was Texte alles anbieten, dass bei einem ersten Lesen vielleicht gar nicht auffällt. Wir können Lesern, glaube ich, also konkrete Angebote machen, Texte anders zu verstehen, als das alltäglich möglich ist. Für unsere weitere Arbeit fragen wir: Wie können wir Literaturwissenschaft und Alltagswelt verbinden, wie können wir dafür sorgen, dass Literaturwissenschaft der Gesellschaft etwas „bringt“? Unsere Diskussion der Romane mit dem Publikum soll dafür Anstöße und konkrete Ideen bringen.

Worauf gründet im Zeitalter Trumps Ihre Hoffnung auf Leser/innen?

Meine persönliche Hoffnung? Was ich mir für Leser und Leserinnen wünsche ist, dass sie einen Gewinn daraus ziehen, sich intensiv mit Texten zu befassen, anstatt sie einfach „nur“ zu lesen, einen ganz persönlichen Gewinn, der ihr Leben auf kleine Weise besser macht. Lesen muss und soll Spaß machen —aber immer wieder mal hinter den Text zu schauen und zu fragen, was denn alles mit scheinbar einfachen und offensichtlichen Passagen transportiert wird. Und dann können Leser mehr als Nichtleser auch hinterfragen, was denn alles drinsteckt in den politischen Slogans, die unsere Zeit bestimmen, vom „Make America Great Again“ zu Anrufungen des deutschen Volks. Das ist glaube ich die einzige Art und Weise, wie Lesen politisch werden kann—aber das wäre ja schon mal was.

Vier Literaturwissenschaftler/innen stellen vier verschiedene Romane vor: Caren Irr : Richard Powers „The Overstory“, Madhu Krishnan: Dambudzo Marecheras „The House of Hunger“, Nicholas Brown: Ivy Compton-Burnetts „Manservant and Maidservant“, Mathias Nilges: Octavia E. Butlers Bände „Parable of the Sower“ und „Parable of the Talents“. Die Veranstaltung findet in Kooperation mit dem Fachbereich American Studies der Universität Mainz statt. Das Podiumsgespräch wird auf Englisch geführt.

Der Eintritt ist frei.