„Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los“

17.02.2020 / Viola Bolduan


Es ist ein aktuelles Buch, ein kluges Buch, ein lehrreiches und lesefreundliches Buch: Karl-Heinz Ott schreibt zum Hölderlin-Jubiläumsjahr (250. Geburtstag am 20. März) über „Hölderlins Geister“. Der Ruf des goetheschen Zauberlehrling, „die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los“ darf assoziiert werden – obwohl Ott zufolge der Name Goethe bei Hölderlin Krämpfe auslöste. Denn, wenn auch zunächst Friedrich Hölderlin gemeinsam mit Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Friedrich Wilhelm Schelling in ihrer WG am Tübinger Stift zum geistigen Höhenflug ansetzt – in der Rezeption seiner Lyrik und des poetischen Romans „Hyperion“ tummeln sich die Geister, die Hölderlin post mortem nicht mehr loslassen.

Karl-Heinz Ott benennt sie und analysiert ihre verschiedenen Motivationen. Geschickt verknüpft er dabei Hölderlins Biografie mit den unterschiedlichsten Interpretationen seines Werks. Der Autor referiert aus umfassendem Wissen und legt alle Deutungsansätze anschaulich zur Diskussion vor. Er selbst deutet auch – in überzeugender Weise, publikumsnah und durchaus gewitzt.

„In der Mythologie ist alles halb so wild wie bei den Religionen“. Insofern kann Hölderlin sich der griechischen Mythologie verschreiben und will in eben ihrer Poetisierung sich ihre Wiederkunft erschreiben. Weshalb für Hölderlin selbst dann auch stimmt: „Was bleibet aber, stiften die Dichter.“ Die Funktion des Wörtchens ,aber‘ interpretiert Karl-Heinz Ott auch: den hohen Ton als Hölderlins Markenzeichen.

Der Autor ist ein profunder Hölderlin-Kenner, stellt den Dichter in ein enges Bezugsgeflecht zu den früheren Freunden Hegel und Schelling, u.a. auch zum späteren geistigen Kompagnon Nietzsche und arbeitet dabei unermüdlich mit Zitat-Belegen. Er überprüft den Realitätsgehalt in Hölderlins Griechen-Verehrung und sieht als Fazit eine idealistische Privatmythologie ins Werk gesetzt. „Mein Wunsch ist Helden zu singen“ dichtet der Mann, der die „Prosa des Lebens“ flieht und sich ins Fiktive entrückter Sphären rettet. „Dichtung wird Gottesdienst, Zauber, Mysterium.“ Und der Dichter zum „heiligen Gefäß“.

Wie Hölderlin sich mit Visionen griechischen Götter- und Heldentums entrückt, können spätere Generationen mit Hilfe von LSD erfahren. Soweit Einbezug und Einordnung in die Gegenwart. Hölderlin scheint es seinen nachfolgenden Geistern leicht zu machen: Philosoph Heidegger deutet ihn „heimatselig“ und „bräunlich“, Säulenheiliger ist er dem Stefan-George-Kreis, in Feldauswahl-Heftchen wird sein hymnischer Ton zur Durchhalte-Kraftstärkung an die Wehrmacht verteilt, und „plötzlich steht er links“. Pierre Bertaux macht Hölderlin zum Jakobiner, der sich hinter der Maske des Wahnsinns versteckt (was der französische Germanist später aber wieder zurücknimmt). Gleichwohl gehört Hölderlin „seit den 60er Jahren auf die Barrikaden“ – für die Rezeption. „Alle schlagen Kapital aus ihm.“ Gut strukturiert, fein analysiert und sprachlich elegant serviert macht Karl-Heinz Ott deutlich, wer denn welches.

Und was aber bleibt vom Dichter? Vom Typus des Narziss, der konfliktscheu dem Alltäglichen entsagt und sich im Gefühl kosmischen Verschmelzens („Eins sein mit Allem“) nur aufgehoben fühlt, kommt der so Enthobene der Welt abhanden. Und schafft, so Ott aber auch, wiederum eine Bildsprache in „überwältigender Sprachmusik“, ohne die die Welt ärmer wäre. Hölderlins poetische Antriebskraft bleibt in seinen Texten spürbar, und es springt über sein Glaube an die Kraft und Macht des Wortes. Das nennt man auch Kunst.

Auf die Fassade des Hölderlin-Turms in Tübingen hat jemand gesprayt: „Der Hölderlin isch et verrückt gwä!“. Durch diesen Turm, in dem ein entrückter Dichter 36 Jahre lang zwischen 1807 und 1843 lebte, hatte Karl-Heinz Ott früher selbst geführt, er hat seinen ersten Roman mit einem Hölderlin-Vers betitelt („Ins Offene“, 1998), den Hölderlin-Förderpreis 1999 erhalten und führt mit seiner jüngsten Studie nun durch Hölderlins Geist im Nachvollzug der Geister, die ihn haben vereinnahmen wollen. Ohne Weihrauch – biografisch-philosophisch-literarisch sachbezogen sieht sich der Autor seinem Thema nah. „Anwesenheit aus naher Ferne, von was auch immer“, lautet der Schlusssatz – nonchalant im Tonfall des gesamten Buches. Eine Erholung!

Karl-Heinz Ott: „Hölderlins Geister“, Carl Hanser Verlag. München. 240 Seiten. 22 Euro