Dieser Mann hat Geschmack

11.10.2019 / Dirk Hoga


Dieser Mann hat Geschmack. Gut gekleidet mit einem eleganten Sakko und der sommerlichen Hitze trotzend, treffen wir uns Mitte August auf dem Wiesbadener Weinfest, um uns gleich darauf in ein ruhiges Café um die Ecke zu begeben. Bei gut gekühltem Rosé beginnen Tilman Allert und ich unser Gespräch. Denn ein Interview, wie verabredet, wird es nicht geben mit dem Mann, der sich mit einem wunderbaren Büchlein in meine Jugend katapultiert und meine Kindheitserinnerungen wachgerüttelt hat: „Der Mund ist aufgegangen – vom Geschmack der Kindheit“, erschienen 2016 im Verlag „zu Klampen“.

Meine Generation (geb. 1959) erinnert sich mit Freude an das pfefferminzige Vivil-Bonbon, das elfenbeinfarbige Nappo oder das Himbeerbonbon. Wir diskutieren meine Frage, ob es nicht auch die Form der Süßigkeiten war, die sich eingeprägt hat. Das weiße, fein kannelierte Rund des Vivil in grüner Rolle verpackt, die Raute des Nappo, in buntem Alu, oder die gepresste rote Kugel des Himbeerbonbons. Formen und Farbe, die ich beim Lesen des Büchleins sofort vor Augen hatte und die untrennbar von ihrem Geschmack sind. Die Frage, ob eine Fortsetzung von Erinnerungen in Formen und Farben vorstellbar ist, ist interessant, und noch interessanter, wenn man ein solches Buch in 20 Jahren schreiben würde.
Tilman Allert arbeitet aktuell an einem Buch mit dem Titel „Zum Greifen nah“ — von den Anfängen des Denkens. Das beschäftigt den Professor für Soziologie und Sozialpsychologie an der Goethe-Universität in Frankfurt. Er ist Mitglied der Plessner-Gesellschaft und Kenner des 1821 in Wiesbaden geborenen Helmuth Plessner. Die Stadt Wiesbaden hat auf Empfehlung von Tilman Allert zu Ehren Plessners, des großen Denkers der philosophischen Anthropologie, den mit 20 000 Euro dotierten „Wiesbadener Plessner-Preis“ ins Leben gerufen. Der Preis wird alle drei Jahre vergeben, zuletzt erhielt ihn Peter Sloterdijk. Neben seiner Tätigkeit als Professor in Frankfurt ist Tilman Allert Gastdozent in Tiflis, Eriwan und Berlin.

Wir verlassen Plessner und sprechen über die Sprache als Haus des Seins. Nun ist es nicht mehr weit und die Brücke zur Architektur ist geschlagen. Den Schweizer Architekten Peter Zumthor schätzen wir beide sehr, den Pritzker-Preisträger (Nobelpreis der Architektur), der in Köln das Columba-Museum baute und auf einem Acker bei Bonn im Auftrag eines Bauern die Brüder-Klaus- Kapelle. Peter Zumthor formulierte 2017: Ich schaffe Räume, die Stimmung und Atmosphäre haben, in den man gerne ist. Allert nennt ihn den Philosophen des Baulichen. Damit hat er sehr Recht.

Tilman Allert hat eine große Leserschaft nicht nur seiner zahlreichen Bücher, er schreibt auch regelmäßig Beiträge für die FAZ, für Brand Eins und die Neue Zürcher Zeitung. Auf sein neues Buch dürfen wir uns freuen, auf kluge Beobachtungen des Alltags, die Staunen machen werden. Abschließend weise ich unser Mitglied im Fördervereins Literaturhaus Villa Clementine noch auf die runderneuerte Website unseres Vereins hin. Wir verabschieden uns und freuen uns auf ein baldiges Wiedersehen im Literaturhaus Villa Clementine. Möglicherweise trägt er dann schon aus seinem neuen Buch vor.

Foto Tilman Allert: © Uwe Dettmar