Frau Pehnt, der Rheingau-Literatur-Preis 2020 ist nicht Ihr erster Preis – gleichwohl, was bedeutet er Ihnen?
Gerade in diesen Zeiten ist er etwas ganz Besonderes! Wie viele Autoren und Autorinnen war ich sehr verzagt, als der Literaturbetrieb stillstand – man fängt schon an zu zweifeln. Nun fühle ich mich sehr ermutigt!
Sie waren 2008 Poetikdozentin in Wiesbaden und erhielten 2014 den Preis der Landeshauptstadt für „Der Bärbeiß“ als bestes Kinder- und Jugendbuch. „Der Bärbeiß“ wird übrigens gerade am Mainzer Theater aufgeführt. Haben Sie Erinnerungen an Ihren Wiesbaden-Besuch, oder auch noch andere Verbindung zur Rhein-Main-Region?
Ja klar, das war meine erste Poetikdozentur, sehr aufregend! Wiesbaden war sehr wichtig für mich, gute Begegnungen im Literaturhaus und im Theater, sogar im Casino waren wir. Den Bärbeiß in Mainz möchte ich bald besuchen.
Sie kennen den Rheingau und hatten vom Rheingau-Musik/Literatur-Festival zuvor schon gehört?
Gehört schon, aber ansonsten bin ich dort noch nie unterwegs gewesen. Das werde ich ja nun nachholen können!
Das Musik-Festival ist in diesem Corona-Jahr leider ausgefallen, das Literatur-Festival im September wird aber stattfinden mit der Preisverleihung an Sie am 27. September auf Burg Schwarzenstein. Welche Einschränkungen seit dem Shutdown haben Sie bisher als Autorin erlebt?
Mein neuer Roman ist genau ins Corona-Loch gefallen, so dass alle Lesereisen, alle Veranstaltungen rund ums Buch abgesagt wurden – es gibt ja dann kein öffentliches Gespräch. Das ist schwer nach Jahren des Schreibens.
Sie sind promovierte Professorin für literarisches Schreiben an der Universität Hildesheim. Wie müssen wir uns seit März den Lehrbetrieb dort vorstellen?
Wir machen alles digital. Ich habe eine sehr steile Lernkurve derzeit!
Wie vereinbaren Sie überhaupt Ihre Arbeit als Dozentin mit der der Autorin?
Das eine bedingt das andere. Es ist künstlerische Lehre, ich arbeite ja mit den Studierenden an Texten und Schreibprojekten, wir teilen die gleichen Fragen und Schreibprozesse.
Ihr neuer Roman „Alles was Sie sehen ist neu“ offenbart eine erstaunliche Kenntnis über Chinas Vergangenheit und Gegenwart. Wie lange haben Sie recherchiert?
Es gab eine China-Reise, ja – aber wir sind ja in dem Buch nicht in China, sondern in Kirthan. Also durfte ich auch viel erfinden.
„An die Viren darf man nicht denken“, sagt Reisende Dagmar – waren Sie während des Schreibens der Realität also schon voraus?
Es gibt einiges in dem Buch, was ich im Nachhinein ein wenig unheimlich finde.
Der Roman ist zweigeteilt: Er erzählt die Geschichte einer deutschen Reisegruppe nach Kirthan (China) und die Biografie des dortigen Reiseführers Nime. In Ihrem Roman „Ich muß los“ war die Hauptfigur auch schon ein Stadtführer. Was macht den Beruf literarisch so interessant?
Der Reiseführer ist ein Geschichtenerzähler – und das finde ich immer wieder ein zentrales Thema. Wie erzählen wir uns die Welt?
„Alles, was Sie sehen, ist neu“ wird den Reisenden vorgeführt und eben von Nime, der und dessen Familie die alten innenpolitischen Prozesse durchlebt hat. Der Blick aufs Äußere trifft nur den Schein – und die wahre Geschichte enthüllt sich nur, indem man sie erzählt?
Es gibt keine wahre Geschichte. Aber sehr viele unterschiedliche Varianten, die alle die Welt zu fassen suchen, in der wir leben.
Im Roman wird aus unterschiedlichen Ich-Perspektiven erzählt, die eine Zeitspanne von rund 30 Jahren bis 2019 umfassen. Nach welcher Struktur haben Sie diese unterschiedlichen Stimmen gewählt?
Es geht um verschiedene Menschen, die alle mit Nime auf die ein oder andere Weise verbunden sind. Sie erzählen, vielstimmig und mit vielen Lücken, sein Leben.
Nime wird als Hauptfigur des Romans als begnadeter Erzähler geschildert – erzählt selbst aber nie, sondern durchläuft einen Prozess vom Erzähler zum Zuhörer. Er stellt also damit beide Voraussetzungen einer Erzählung in einer Person dar?
Ja, er muss das Zuhören erst lernen – aber dafür zahlt er einen hohen Preis. Mehr verrate ich nicht…
„Das Buch ist ein Schlüsselroman, denn es öffnet die Welt“ urteilte die Preis-Jury. Und ist es nicht auch eine Hommage ans Erzählen selbst?
Auf jeden Fall! Aber auch ein Nachdenken über seine Begrenzungen.
Der Rheingau-Literatur-Preis ist neben der Dotierung mit 11.111 € mit 111 Flaschen Riesling ausgestattet. Wie gern trinken Sie Wein?
Als Wahl-Freiburgerin lebe ich in einer Weingegend und liebe mein Viertel Grauburgunder. Mit Riesling kenne ich mich noch nicht so aus – aber das wird sich ja bald ändern!