Karen Duve in der Villa

30.10.2022 / Armin Conrad


Für eine Besucherin dieses Leseabends zeichnete sie noch ein Pferd neben ihre Widmung. Die Schlange der Buchgekaufthabenden war etwas kürzer geworden. Soviel Zeit muss sein, wird sich die Autorin gedacht haben. Karen Duve, eine erfahrene Schriftstellerin hat ein sicheres Gefühl für den Umgang mit ihren Leser*innen. Ein schöner Abend ging zu Ende. Die „diensthabende“ Buchhändlerin Vera Anna blickte glücklich auf den restlos leeren Büchertisch vor ihr. Kleine Gruppen standen noch eine Weile zusammen, manche nippten am vorzüglichen Primitivo, und sprachen über das ‚Sisi’-Bild, das ihnen Karen Duve gerade vermittelt hatte. In einer Lesung, die, moderiert von der so angenehm neugierigen Claudia Kramatschek (WDR/DLF), an ihrem Ende die Besucher im fast vollbesetzten Roten Salon der Villa Clementine erkenntnisgestärkt und zufrieden in den milden Herbstabend entließ.

Das ist keine Biografie, die die Autorin von „Taxi“ und „Fräulein Nettes kurzer Sommer“ (Annette von Droste-Hülshoff) da im Galiani-Verlag abgeliefert hat, es steht ja auch ‚Roman’ auf dem Buchumschlag. ‚Sisi‘ ist ein Parforceritt durch etwas mehr als ein Jahr Leben. Der Beobachter bittet bei allen, die das etwas zu aufgesetzt finden, um Nachsicht für die gewählte Bildlichkeit. Die historische Entsprechung der Filmfigur Romy Schneider ist bei Karen Duve 38 Jahre alt und schon zu Anfang der etwa 400 Seiten menschlich und charakterlich dort angelangt, wo sie die Pferdefreundin aus der Mark Brandenburg menschlich und charakterlich platziert haben möchte. Elisabeth von Österreich ist eine überaus charmante, kaltherzige Schönheit, satt der höfischen ‚Comments‘ rund um die Wiener Burg, angehimmelt, angewidert, intrigant. Duves Sisi ist keine wächserne, kapriziöse Erleiderin ihres Schicksals als eine ‚von Gottes Gnaden‘, sie steht mitten im höfischen Leben, ist sich ihrer Wirkung auf andere überaus bewusst und benutzt die Frauen und Männer ihrer Umgebung stellenweise rücksichtslos.

Karen Duve, hat offenbar Spaß daran gefunden, die Möblierung des höfischen Lebens im sterbenden Milieu des Ständestaats — in England ebenso wie in Ungarn oder Wien — üppig zu beschreiben. Die Ausstattungen ebenso wie die zum Teil jämmerlich erscheinenden Figuren des erweiterten Hofstaats — manchmal ist es etwas zu üppig. Aber doch: Wir lesen uns in ein Sittenbild des späten neunzehnten Jahrhunderts hinein, auch in ein Stück Mediengeschichte: Die Tweets von damals waren: Der Tratsch, eine gelegentlich noch heute (2022!) in Wien kulturell bewehrte Kommunikationsform. Kalkuliert und zielgerichtet eingesetzt, führte Tratsch oft zum gewünschten politischen Ergebnis.

Ist Sisi ein Roman? Wenn der Verlag (das Lektorat des Buches legt leider die finanziellen Nöte der deutschsprachigen Verlage offen) und die Autorin das so sehen, warum nicht? Dabei ist es im zweiten Teil eher die persönliche Entwicklung der kaiserlichen Nichte Marie Louise von Wallersee, die die Lesenden durch das Buch trägt. Am Ende ist sie zu einer Marie Louise von Larisch-Wallersee geworden, keine und keiner, die dieser Ehe ein Gelingen voraussagen möchten. Sisi ist die ränkeschmiedende, unheilstiftende Konstante, die Marionettenspielerin. Mal im Mittelpunkt, mal aus dem Off heraus.

Pferdefreunde werden das Buch gerne lesen. So, wie sie es eben sehr gut kann, beschreibt Karen Duve die Stimmung und die Ingredienzen bei den sportlichen Fuchsjagd-Derbies in Ungarn, England, anderswo…. nicht ohne auf die hochherrschaftliche, tierquälerische Lust jenes späten 19. Jahrhunderts hinzuweisen.  Zwei auf Tanz dressierte Zirkuspferde dominieren das Cover des Buchs. „Das Cover war ein langer Kampf mit dem Verlag, der unbedingt eine Sisi dort sehen wollte“, erzählte die Schriftstellerin an diesem Abend in der Villa Clementine.

Man erfährt manches über die Kaiserin, was man nicht wusste. So z. B., welche Rotzlöffel ihre Kinder Rudolf und Marie Valerie waren. Das wurde in den vorliegenden, von Herrscherlob getränkten, Sisi-Büchern gerne übersehen. Ein Schnappschuss in die Geschichte hinein, exzellent geschrieben, ein Buch für neblige Wintertage.

Armin Conrad

„Sisi“ von Karen Duve, Galiani 2022, 409 Seiten, € 26,00