Können Worte Waffen sein?

30.04.2019 / Christina Oxfort


Jahrzehntelang hat sich die Journalistin und Schriftstellerin Aslı Erdoğan mit ihrer türkischen Muttersprache auseinandergesetzt. Dass sie nun, nach ihrem Gefängnisaufenthalt in der Türkei und annähernd zwei Jahren im Exil in Frankfurt, das Gefühl für die Feinheiten ihrer Sprache zu verlieren drohe, bekümmert die 52-Jährige. Im Literaturhaus Villa Clementine trifft sie bei der Präsentation der kürzlich veröffentlichten deutschen Übersetzung ihres 2009 erschienenen Romans „Haus aus Stein“ auf ein interessiertes Publikum, das sich von den Auszügen ihres bildgewaltigen, symphonisch angelegten Buches gefangen nehmen lässt.

Im „Haus aus Stein“ werden Menschen gefoltert. Ihre Klagelieder verdichtet Aslı Erdoğan zu einer schmerzhaften Komposition, in der sie ihre eigenen Gefängniserfahrung vorwegnahm: Im August 2016 wurde die studierte Physikerin, die ab 2011 für die kurdisch-türkische Zeitung „Özgür Gündem“ geschrieben hatte, im Rahmen der sogenannten Säuberungen nach dem gescheiterten Militärputsch verhaftet und saß 136 Tage lang im Gefängnis.
Armin Conrad, ehemaliger Redaktionsleiter des 3sat-Magazins „Kulturzeit“, liest Auszüge aus der deutschen Übersetzung des Romans. In der Türkei wurde der Autorin 2010 für ihren Roman „Tas Bina ve Digerleri“ („Steingebäude“) mit dem Sait-Faik-Literaturpreis die bedeutendste Auszeichnung des Landes verliehen. Als Kolumnistin jedoch fiel sie, die die Grausamkeit in ihrem Land angeprangert hatte, in Ungnade – und wurde fortan „wie eine Terroristin behandelt“. Von einem Regime, das, wie sie sagt, „von der eigenen Macht berauscht ist“.
„Ich wünschte, es wäre so“, erwidert die Schriftstellerin auf die Frage, ob ihre Worte „Waffen“ seien: Rita Thies, Vorsitzende des gastgebenden Förderkreises Literaturhaus und Moderatorin der Lesung, würdigt die bildgewaltige Sprache der Schriftstellerin.
„Fängt der Mensch an zu erzählen, spaltet er sich, wird vom Erzähler zu Erzähltem“, ist die Autorin überzeugt. Wenn gefragt wird, was übrig bleibt von „einem Ich“ nach Haft und Folter, bleibt viel Raum für Interpretation. Und eben dies ist beabsichtigt. „Ein Trauma ist kein guter Geschichtenerzähler“, sagt Aslı Erdoğan.

In voller Länge erschienen am 29.04.2019 in Wiesbadener Kurier/Tagblatt