Seit 2007 ist Anita Djafari Geschäftsführerin des vor 40 Jahren gegründeten Vereins Litprom in Frankfurt, der sich für Literatur aus Afrika, Asien, Lateinamerika und der Arabischen Welt engagiert. Die Literaturwissenschaftlerin kennt sich blendend aus im Metier, hat u.a. in Verlagen gerbeitet, eine eigene Buchhandlung geführt, in Peru eine Sprachschule gegründet, die Vergabe des LiBeraturpreises für Autorinnen übernommen und wurde auf der Buchmesse 2016 zur BücherFrau des Jahres gekürt. Nach der virtuellen Buchmesse 2020 verabschiedet sie sich von ihrem Amt in den Ruhestand. Über ihre Tätigkeit und was ihr danach bleiben wird, berichtet sie in diesem Interview.
Frau Djafari, wie haben Sie die diesjährige digitale Buchmesse erlebt?
Natürlich vollkommen anders als all die Jahre zuvor. Ich war zuhause und habe versucht, so viel wie möglich davon mitzubekommen, was die Kolleg*innen der Buchmesse auf die Beine gestellt haben. Ich hab’s bewundert und genossen und mich dabei auch gut innerlich verabschieden können.
Als Geschäftsführerin von Litprom e. V. haben Sie am Vortrag der Buchmesse ein Symposium zu Literatur in Afrika organisiert. Was hat sich daraus ergeben?
Das war ein Abenteuer, da wir das Ganze zunächst vollkommen analog geplant hatten und letztendlich vollkommen virtuell umgesetzt haben. Acht Autor*innen aus sieben Ländern dabei zusammenzubringen, war ein Erlebnis für sich. Es ist noch zu früh, Bilanz zu ziehen, die Videos sind ja weiterhin zu sehen und werden auch noch kräftig geteilt, auch international. So viele Menschen haben wir noch mit keiner analogen Veranstaltung erreicht, das steht fest.
Litprom feiert in diesem Jahr sein 40-jähriges Bestehen. Was konnte seither an Förderung der Literaturen aus Afrika, Asien und Lateinamerika erreicht werden?
Das lässt sich nicht in zwei Sätzen beantworten. Es wurden über die Übersetzungsförderung Hunderte von Veröffentlichungen ermöglicht, aber auch mit Veranstaltungen und Veröffentlichungen dafür gesorgt, dass diese Übersetzungen auch ihre Leser*innen finden. In 40 Jahren ist ein unverzichtbares Netzwerk von geballter Kompetenz entstanden, ein Knotenpunkt für alle an diesem Thema interessierten und arbeitenden Menschen.
Sie haben sich in allen Ihren mannigfaltigen Berufen (Verlagsmitarbeiterin, Buchhändlerin, Gründerin einer Sprachschule, Übersetzerin, Lektorin, Organisatorin, Litprom-Geschäftsführerin) stets für Literatur eingesetzt. Warum und wofür ist Literatur wichtig?
Für mich war und ist sie ein Lebensmittel und zwar in allen Lebenslagen. Das fing bei mir schon als Kind an. Die Literatur hat mir immer geholfen, die Welt besser zu verstehen – sei es die vor der Haustür oder die vermeintlich fremde, die weit weg ist. Weil sie uns über die Emotionen erreicht. Das schafft kein anderes Medium
Was lernen wir von der Literatur anderer Länder?
Achtung, jetzt wird’s pathetisch: Dass wir alle Menschen sind mit sehr sehr ähnlichen Bedürfnissen und Problemen. Die Unterschiede bestehen vielleicht durch die anderen Bedingungen vor Ort und die Ungleichzeitigkeit der Entwicklung. Und über diese anderen Bedingungen erfahren wir etwas und lernen, ohne es zu merken. Wir entwickeln im besten Fall Empathie. Denn unterm Strich geht es immer um Liebe und Tod, egal wo.
Sie gelten auch als eifrige Netzwerkerin für Literaturvermittlung. Wie dicht ist das Netz zur Popularisierung von Literatur aus Ländern jenseits Europas mittlerweile geworden?
Da hat sich durch die Globalisierung und die modernen Kommunikationsmittel viel getan, es herrscht eine andere Offenheit und Unbefangenheit gegenüber dem so genannten Fremden. Gleichzeitig muss weiter an dem Netz gestrickt werden, denn auch das Gegenteil, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, macht sich wieder breit. Wir müssen uns klarmachen: Der Westen ist längst nicht mehr die einzige kulturelle Referenz.
Um Literatur anderer Länder in Deutschland bekannt zu machen, bedarf es ihrer Übersetzung. Gibt es inzwischen für jede Sprache denn hier auch entsprechend kompetente Übersetzer/innen?
Das ist eine gute Frage. Auch hier hat sich einiges getan, was die so genannten „kleinen“ Sprachen angeht, die so klein oft gar nicht sind. Aber es gibt Sprachen, für die es nicht genügend gut ausgebildete Übersetzer*innen gibt, z. B. Koreanisch. Hier ist generell Nachholbedarf, der unbedingt Förder- und Weiterbildungsprogramme zur Unterstützung braucht, damit auch dem Trend, alles (wieder) über den Umweg Englisch oder eine andere gängige Sprache zu übersetzen, entgegengewirkt werden kann. Ein komplexes Thema.
Desweitern braucht es einen Verlag, der die Übersetzungen drucken und auf den Markt bringen will. Sind hierzulande genügend Verlage dazu bereit?
Auch hier hat sich viel zum Guten verändert. Waren es früher „nur“ Nischenverlage, die nach wie vor sehr wichtige Arbeit leisten, sind es inzwischen auch die großen Publikums- und Konzernverlage, die sich nach diesen Stoffen umschauen. Sie rechnen nur schärfer als die kleinen und pflegen ihre Autor*innen nicht so gut, wenn die Zahlen nicht stimmen.
Sie sind Mitglied im Verein Litprom seit der Gründung, also seit 40 Jahren, seit 2007 seine Geschäftsleiterin und wollen sich jetzt in den Ruhestand zurückziehen. Wie wird Ihnen das gelingen?
Was für eine gemeine Frage, woher soll ich das wissen? Ich mach‘ ja ehrenamtlich noch ein bisschen weiter, in der Jury der Bestenliste Weltempfänger, im Vorstand des Hessischen Literaturrats, bei Ihrem Förderverein. Das finde ich schön, alles andere wird sich weisen. Ich freue mich allerdings wirklich auf mehr Zeit und weniger Stress.
In der Rückschau: Was war das Wichtigste Ihrer Arbeit?
Menschen zusammenzubringen, die ähnliche Ziele und Werte haben und gemeinsam an Projekten arbeiten wollen, und dafür zu sorgen, dass diese umgesetzt werden. Diese Aufgabe bleibt.
Mit Blick nach vorn: Was bleibt noch zu tun? Und wie leistet Litprom das ohne Sie?
Es gibt noch sehr viel zu tun, und da werden die Kolleg*innen, auch die neu hinzugekommenen jüngeren mit frischem Blick und neuen Ideen und vor allem auch Kompetenzen im Digitalen neue Wege beschreiten. Die Welt verändert sich rasant und damit auch die Aufgaben eines so altehrwürdigen Vereins.
Sie sind Juryvorsitzende für das Stipendium „Weiterschreiben – Wiesbaden“ des Fördervereins Literaturhaus Wiesbaden und werden am 5. November im Wiesbadener Rathaus die Laudation auf die Stipendiatin aus Syrien, Rasha Habbal, halten. Was zeichnet diese Autorin aus?
Hier möchte ich der Laudatio nicht vorgreifen, nur so viel: u. a. ihre Ernsthaftigkeit, mit der sie die Schriftstellerei betreibt und weiterverfolgt.
Schließlich: Welches Buch ist Ihnen im Verlauf Ihrer Berufstätigkeit besonders wichtig geworden?
Diese Frage kann ich eigentlich nicht beantworten. Es sind zu viele. „Tante Julia und der Kunstschreiber“ von Mario Vargas Llosa ist nur eins. Und in jüngster Zeit „Die Vegetarierin“ von Han Kang.
Welches Buch sollten wir alle unbedingt lesen?
Ich möchte Lust machen auf die Lektüre von Jean Rhys „Die weite Saragossasee“ und damit in Zusammenhang den Klassiker „Jane Eyre“ mal wieder hervorzuholen…
Und was lesen Sie jetzt?
Jetzt stürze ich mich erstmal auf den koreanischen Thriller „Heißes Blut“ von Un-Su Kim.
Foto: Salome Roessler