Möge der Saunawichtel mit uns sein

25.01.2023 / Viola Bolduan


Von Viola Bolduan

Vor einer halben Stunde trug man noch Mantel, Schal und Stiefel, als die dicke Traube sich vor dem Einlass zur Kaiser-Friedrich-Therme, das Foyer hindurch bis in den Vorraum hinein zum ersten Leseabend versammelte. Während der Lesungen hängen die Winterklamotten am Haken, liegen Jacken auf den Fliesen und gehen die Leutchen auf Strümpfen durch den Jugendstil-Dekor der Bade- und Ruhe- und Schwitzräume. „Wir haben wesentlich mehr reingelassen, als vorgesehen“, begrüßt Grit Schade die über den Beckenrand baumelnden Beine, auf den Stühlen im Becken Liegende, auf Treppen und Stufen Sitzende, Standfeste an den Rändern und staunend Umherwandernde. Die kleinen Löwenfiguren stört’s nicht. Es werden wohl weit über hundert Leutchen sein, die sich den ersten Leseabend am fremden Ort Samstagabend nicht hatten entgehen lassen wollen. Viele junge Menschen darunter, denen Leseveranstaltungen sonst eher fremd. Jetzt aber haben sie alle Gelegenheit, die über 100 Jahre alte, vor 20 Jahren umfassend sanierte und im Moment aufgrund der Energiekrise für Gäste geschlossene Thermal-Anlage zu besichtigen. Zudem ist es winterkalt und das Innere der Therme verspricht heißen Quellen zu verdankende Frühsommertemperaturen, von hautnaher Begegnung unter den Säulengängen mit figürlicher Ornamentik auf verzierten Fliesen einmal ganz abgesehen. Im Übrigen war der Eintritt frei und versprach die Initiativgruppe um Grit Schade mit Franziska Geyer, Mario Krichbaum und Armin Nufer ein abwechslungsreiches Zuhör-Vergnügen. „Kein Schweiß aufs Buch“ (durchaus auch ein Buchtitel über „Saunageschichten“) ist Motto der Veranstaltung, deren zweiter Aufguss am 28. Januar in derselben Atmosphäre gereicht werden wird – wenn auch ohne Wasser.

Imagination reicht, angeregt durch Franziska Geyers gelesene Leitfäden für die Nutzung einer finnischen Sauna – möge der Saunawichtel mit uns sein. Er begleitet Dreiergruppen ins enge Steindampfbad zur Lesung mit  Armin Nufer aus Lutz Ullrichs Frankfurt-Krimi „Tod in der Sauna“, die alle wieder lebend entlassen werden ins Entree an die Quellenbar, wo Mario Krichbaum Ernst Augustins „Schule der Nackten“ vorträgt und -führt, in den hinteren Ruheraum, der komfortable Liegen bietet (wer denn schnell genug eine findet, der Rest hockt oder steht an der Wand), um Grit Schade zuzuhören, die buntbestrumpft Auszüge aus Marianna Kurttos im vergangenen Jahr in deutscher Übersetzung erschienenem Roman-Debüt „Tristania“ vorliest.  1961 bebte auf der Insel Tristan da Cunha, der abgelegenste bewohnten Insel der Welt, die Erde und brach ein Vulkan aus – Anlass für die finnische Autorin über das entbehrungsreiche Leben in unwirtlicher Landschaft, über Frustration und Sehnsucht im Wechsel der Perspektiven zwischen Lehrerin Marthe und ihrem Schüler Jon poetisch bildstark zu erzählen.

Der Beifall fällt mit dem aus dem Frischluftraum zusammen, wo zum Erlebnis einer FKK-Liegewiese aus den Augen eines Mannes, vorgetragen von einem Manne (Mario Krichbaum) durchaus gekichert werden durfte, denn der Mann hat’s mit der Sichtbarwerdung seines Hormondranges schwer, während dem Club der alten Frauen keine Runzel zu peinlich ist. Kleine Drachenköpfe wachen indes über Armin Nufer und beäugen die Leiche des Fitnessstudio-Leiters und -Trainers Klaus Momsen in der Sauna, in der sich die zuhörende Schar auf allen Stufen des Steindampfbads (ohne Dampf und Schuhe) nieder- und manche einnicken lässt – lediglich aus Temperaturgründen, denn Armin Nufer liest packend bis zum offenen Schluss.