„Sein Mund war wie eine Insel“

19.11.2019 / Viola Bolduan


Von links nach rechts: Schauspielerin Leslie Malton, Fördervereinsvorsitzende Rita Thies und Litprom-Geschäftsführerin Anita Djafari (Foto: Dirk Hoga)

 

„Sein Mund war wie eine Insel in dem Meer, das sein Gesicht war …“, und Jamaica Kincaid (aus der Karibik) schreibt zwölf Seiten lang eine Liebesgeschichte weiter – stark und sinnlich aus der Erinnerung einer genießenwollenden, unabhängigen Frau. Fariba Vafi aus Teheran fühlt sich wie eine iranische Frau, deren Familie auswandern, sie selbst aber bleiben will. Und schließlich: Clarice Lispector, Doyenne der brasilianischen Literatur, ist in ihrer Kurzgeschichte „Die Reste vom Karneval“ wieder das zarte Mädchen von acht Jahren, das seine Verwandlung in eine Rose, also junge Frau, herbeisehnt. Drei Ich-Erzählungen von Frauen unterschiedlicher Herkünfte und Generationen kommen zu Wort in Lesung und Gespräch über die Publikation „Vollmond hinter fahlgelben Wolken“, eine Anthologie, die im vergangenen Jahr zum 30. Jubiläum des LiBeraturpreises herausgekommen ist. Litprom, der Frankfurter Verein für Vermittlung der Literatur von Autorinnen aus Afrika, Asien, Lateinamerika und der arabischen Welt, verleiht den Preis, und deren Geschäftsführerin Anita Djafari ist Gast der Veranstaltung „Autorinnen aus vier Kontinenten“ im Literaturhaus, organisiert von Litprom, Literaturhaus und Förderverein Literaturhaus. Dessen Vorsitzende Rita Thies moderiert und begrüßt die deutsch-amerikanische Schauspielerin Leslie Malton als Rezitatorin der Texte. Da hört ein konzentrierter Publikumskreis eine warme, wandlungsfähige, ungemein sichere Stimme, die sich an den jeweiligen Stil und Rhythmus der Texte schmiegt, ihnen Glut, Dialogstärke und Spielerisches verleiht.

Kenntnisreich präsentieren Anita Djafari und Rita Thies die Autorinnen Jamaica Kincaid, heute als Literaturdozentin in den USA lebend, Fariba Vafi, Iranerin und LiBeratur-Preisträgerin, sowie Clarice Lispector als wichtige Vorreiterin zeitgenössischer Literatur von Frauen. Sie stehen beispielhaft für die knapp 30 Ausschnitte im Band. Herausgeberin Anita Djafari: „Ich habe ausgesucht, was mir gefallen hat.“ Jamaica Kincaids Text „Rolands Lied“ hat sie auch übersetzt. Der Erfolg dieser Schriftstellerin, wie auch der so vieler anderer, setzt freilich erst nach der Auswanderung ein. Rita Thies bewundert gerade deren „ungeheures Selbstbewusstsein“, das sich auch in Kincaids erotischen Szenen niederschlägt, und Leslie Malton betont: „Es ist Literatur, keine Pornografie.“ Zu ihrer eigenen Vita trägt die prominente Darstellerin eine köstliche Szene bei: Wie ihr, der Amerikanerin mit Wiener Mutter, für den bundesrepublikanischen Pass ein Deutsch-Test zwar ungern, dann aber doch erlassen wurde. Die deutschsprachige Übersetzung wiederum ist absolut wichtig für die in der Anthologie versammelten Autorinnen – sie dadurch hier bekannt zu machen, erklärtes Ziel. „Es sind alle tolle Frauen“, werben die Drei am Podium, und anschließend schmilzt der Stapel auf dem Büchertisch denn auch.

(publiziert in „Wiesbadener Kurier/Tagblatt)