Der Wiesbadener Autor Alexander Pfeiffer, Initiator der monatlichen Literaturshow „Where the wild words are“ im Kulturzentrum Schlachthof sowie weiterer Lesereihen und Literaturfestivals in Wiesbaden und dem Rhein-Main-Gebiet, organisierte Autorenlesungen an Schulen oder das Begleitprogramm zum Wiesbadener Krimistipendium – zuletzt für Zoë Beck. Als Schriftsteller ist er einer von zwölf Kulturschaffenden, die direkt von den Bürgern in den neugeschaffenen Kulturbeirat der Landeshauptstadt Wiesbaden gewählt wurden.
Herr Pfeiffer, der Kulturbeirat ist seit August 2018 im Amt. Zwölf direkt gewählte Kulturschaffende stehen dreizehn qua Amt „gesetzten“ Repräsentanten von Landesmuseum und Staatstheater oder der Politik gegenüber – so die Konstruktion des Beirats. Drückt das in Ihren Augen ein gewisses Misstrauen gegenüber den Künstlern aus, die Sparten wie Film, bildende und darstellende Kunst oder eben auch – wie Sie – die Literatur vertreten?
Was genau die Konstrukteure aus der Kommunalpolitik bewogen hat, diesen ersten Beirat in dieser Art und Weise zu gestalten, weiß ich nicht. Es wirkt aber durchaus so, als hätte man nicht zu viel an Kontrolle abgeben wollen. In meinen Augen ist die aktuelle Konstruktion noch nicht der Weisheit letzter Schluss. Ich habe auch bereits vorgeschlagen, die derzeitige Zusammensetzung des Gremiums für die nächste Amtsperiode zu überdenken. Der Kulturbeirat soll ja als unabhängiges Gremium den für Kulturangelegenheiten zuständigen Ausschuss der Stadtverordnetenversammlung beraten und zu kulturpolitisch relevanten Vorhaben Stellung nehmen. Wenn man sich vor Augen hält, dass acht der 25 Kulturbeiratsmitglieder Vertreterinnen und Vertreter der Stadtverordnetenfraktionen sind, und dass die meisten davon für ihre jeweilige Partei auch im Kulturausschuss sitzen, den der Kulturbeirat beraten soll, ist klar: Die zu Beratenden sitzen mit am Tisch, wenn Empfehlungen an sie formuliert werden. Man kann die Unabhängigkeit des Gremiums also durchaus in Frage gestellt sehen. Wiesbaden ist mit der Schaffung des Kulturbeirats in Sachen Mitbestimmung bereits erfreulich weit gegangen. Im nächsten Schritt könnte man noch etwas „mehr Demokratie wagen“, wie Willy Brandt es einst so schön formulierte.
Der Kulturbeirat soll das beratende Gremium sein, das für die Weiterentwicklung der Kulturpolitik in dieser Stadt sorgt, kulturelle Aktivitäten fördert. Haben Sie ein Beispiel dafür, dass dies bereits in dem einen oder anderen Fall gelungen wäre?
Ich denke, wir haben in verschiedenen Angelegenheiten die kulturpolitische Debatte entscheidend belebt und geprägt – Ausgang in allen Fällen noch ungewiss, aber wir bleiben dran. Beispiel eins: Der Konflikt um das bislang nicht realisierte „Kunst am Bau“-Projekt am RheinMain Congress Center. Nach der Weigerung der städtischen Holding TriWiCon, die von der eingesetzten Jury ausgewählte Installation von Monica Bonvicini zu realisieren, haben wir den Dialog mit der TriWiCon gesucht und letztlich eine Empfehlung formuliert, das Verfahren erneut zu öffnen. Dem sind sowohl der Kulturausschuss als auch die Stadtverordnetenversammlung gefolgt. Es gibt nun wieder Hoffnung auf eine Realisierung des Kunstwerks und ein wichtiges Stück Kunst im öffentlichen Raum. Beispiel zwei: Die unendliche Geschichte um das Walhalla-Gebäude und seine zukünftige Nutzung. Hier konnten wir im Dialog mit der Stadtentwicklungsgesellschaft (SEG), Akteuren der Initiative „Walhalla Studios Wiesbaden“ sowie der zuständigen Bezirksdenkmalpflegerin herausarbeiten, dass es für die Gestaltung und Nutzung des Gebäudes deutlich mehr Alternativen gibt, als der städtische Eigentümer uns alle glauben machen möchte. Der nächste Schritt muss hier nun ein offenes Interessenbekundungsverfahren sein, in dem konkrete Konzepte für eine kulturelle Nutzung auf den Tisch kommen.
Allein acht Mitglieder des Beirats sind Politiker, darunter ist auch ein Mitglied der AfD. Das hat zu ersten Verstimmungen geführt und dem Statement vom Juni 2019, wonach sich der Kulturbeirat mit Mehrheit gegen politisch motivierte Angriffe auf kulturelle Einrichtungen in unserer Stadt verwahrt und missbilligt, die finanzielle Unterstützung kultureller Institutionen seitens der Stadt bei politischer Missliebigkeit in Frage zu stellen. Ist zu befürchten, dass allein durch die Präsenz der Politik in Zukunft mehr solcher Scharmützel stattfinden?
Das Statement vom 4. Juni dieses Jahres unter der Überschrift „Kunst und Kultur bleiben frei!“ hatte einen ganz konkreten Anlass, nämlich die Attacke der Wiesbadener AfD und ihres kulturpolitischen Sprechers Klaus-Dieter Lork gegen das Kulturzentrum Schlachthof. In seinen Äußerungen verstieg sich Herr Lork dazu, antifaschistisches Engagement mit Terrorismus gleichzusetzen. Schon allein, weil dieser Herr auch Mitglied des Kulturbeirats ist, mussten wir darauf reagieren. Ansonsten soll der Kulturbeirat explizit keine Plattform für parteipolitische Scharmützel sein. Wir sind nicht die Stadtverordnetenversammlung und auch nicht der Kulturausschuss. Die besondere Qualität des Kulturbeirats besteht in seiner politischen Unabhängigkeit und der Expertise, die die dort vertretenen Kulturschaffenden einbringen.
Was glauben Sie, kann der Beirat in seiner Vielstimmigkeit die Belange der Kulturschaffenden wirksam vertreten?
Ich bin da guter Dinge. Dieser erste Beirat ist ja nun gerade mal seit knapp einem Jahr im Amt und hat bereits das eine oder andere angestoßen. Der „Themenspeicher“ für die Zukunft ist bestens gefüllt. Sehr vieles wartet darauf, zur Sprache zu kommen und bearbeitet zu werden. Die einzelnen Sparten und ihre Vertreter haben ihre jeweiligen Themen, denen sie Gehör verschaffen wollen. Das ist ganz natürlich und richtig so. Ich sehe aber bei allen Kulturschaffenden im Beirat auch den Willen und die Bereitschaft zur Zusammenarbeit über den eigenen Tellerrand hinaus. Das Walhalla zum Beispiel könnte ein wunderbarer Kulminationspunkt für die verschiedenen und letztlich doch nicht so verschiedenen Interessen sein: Gelegen im unmittelbaren Zentrum der Stadt, um dessen Gestaltung sich zuletzt in erster Linie der Ordnungsdezernent und der Polizeipräsident gekümmert haben, könnte hier Kultur zu einem Standortfaktor werden, der sämtliche Aspekte urbanen Zusammenlebens positiv beeinflusst. Sorgen eine „Alkoholverbotszone“ oder eine „Waffenverbotszone“ für mehr Aufenthaltsqualität? Ich glaube nicht. Ich glaube, wir bekommen durch derlei Maßnahmen lediglich „no go areas“, die von vielen gemieden werden, weil sie sie für gefährlich halten. Mit einem kulturellen und gastronomischen Angebot könnte dagegen eine innerstädtische Oase entstehen, wo wir es aktuell nach Geschäftsschluss mit einer Wüste zu tun haben.
Was wünschen Sie sich als Repräsentant der Sparte Literatur für die Literaten in dieser Stadt?
Eine Erhebung zur „Kulturpartizipation in Wiesbaden“ der Johannes Gutenberg-Universität Mainz von 2017 kommt zu dem Schluss, dass Lesungen diejenigen Kulturangebote sind, die am wenigsten durch die Wiesbadenerinnen und Wiesbadener genutzt werden. Nur etwa 18 Prozent der befragten Personen waren mindestens einmal in den vergangenen zwölf Monaten bei einer Lesung in Wiesbaden. Angesichts des breiten Angebots, das das „Lesezeichen“ als Literaturkalender der Stadt alle zwei Monate verzeichnet, eine ernüchternde Zahl. Ein sehr offensichtlicher erster Wunsch wäre also mehr Publikum. In einer Gesprächsrunde mit Autoren, Buchhändlerinnen und weiteren Literaturveranstaltern aus der Stadt, die wir kürzlich aus unserem Autorenstammtisch „Dostojewskis Erben“ heraus initiiert haben, wurden außerdem als Wünsche und Anregungen formuliert, dass die diversen Lesungsveranstalter weitsichtiger planen und mehr untereinander kommunizieren sollten, dass eine Art Messe beziehungsweise Ideen-Tauschbörse zwecks Vernetzung und Evaluation schön wäre und dass die Entwicklung von speziellen Literaturveranstaltungsformaten für Wiesbaden, die zur Stadt und ihrem Publikum passen, hilfreich sein könnte. Ein Highlight könnte ein stadtweites Literaturprojekt sein, an dem sich möglichst viele Akteure beteiligen können und das auch als Plattform für Autorinnen und Autoren dient, zum Beispiel eine lokale Buch- beziehungsweise Literatur-Messe.
Wo, glauben Sie, können Sie Verbündete für Ihre Anliegen gewinnen?
Nach mittlerweile gut 25 Jahren im Wiesbadener Kulturbetrieb habe ich glücklicherweise bereits ein paar Verbündete ansammeln können. Bei „Dostojewskis Erben“ treffen sich regelmäßig Autorinnen und Autoren aus dem gesamten Rhein-Main-Gebiet zum Erfahrungsaustausch, aber auch zur Organisation gemeinsamer Projekte. Im Literaturhaus Villa Clementine gibt es mit der Leiterin Susanne Lewalter sowie Katharina Dietl, die den Bereich Literatur- und Leseförderung betreut, ebenfalls engagierte Verantwortliche, mit denen ich seit vielen Jahren gut und gerne zusammenarbeite. In meiner Videokolumne „Pfeiffers Kultur Kiosk“ für den Wiesbadener Kurier suche ich Monat für Monat das Gespräch mit anderen Kulturschaffenden aus der Stadt. Auch im Kulturbeirat gibt es, wie schon erwähnt, eine große Einigkeit unter den Kulturschaffenden bei essentiellen Themen. Die große Kunst und schwierigste Aufgabe besteht immer wieder darin, möglichst viele von diesen im Geiste Verbündeten an einen Tisch zu bekommen, wenn es darum geht, konkrete Projekte und Maßnahmen voranzubringen. Für den Bereich der Literatur versuche ich das aktuell, zum Beispiel mit der erwähnten Gesprächsrunde. Die Themen, die in diesem Kreis zur Sprache kommen, sollen natürlich ihren Weg in den Kulturbeirat finden. Auch darin sehe ich meine Aufgabe als gewählter Vertreter der Sparte Literatur.