Verwandtschaft ersten und zweiten Grades

21.06.2019 / Viola Bolduan


Interview mit Andreas Maier, Autor des Romans „Die Familie“ vor der Lesung am 26. Juni 2019 um 19.30 Uhr im Literaturhaus, geführt am 21. Juni 2019 von Viola Bolduan

Herr Maier, Ihr neuer Roman trägt den Titel „Die Familie“. Es ist der siebte Teil eines auf elf Bände angelegten autobiografischen Opus. Herkunft und Familie sind dabei Themen seit jeher – wieso wird in diesem Buch die „Familie“ jetzt zentral?

Ich habe mir die Titel bereits vor zehn Jahren aufgeschrieben, ohne zu wissen, um was es in den Büchern eigentlich gehen würde. Bei Nummer sieben steht: die Familie.

Sie beschreiben als sehr genauer Beobachter konkrete Verhaltensweisen – gibt es für Sie aber auch eine allgemeine Definition des Phänomens „Familie“?

Schöpfung, Nachwuchs, Fortpflanzung, Schutz nach außen, ein Staat im Kleinen, ein Clan (Mafiaclans heißen auch Familien) – oder Harmonie, Liebe, Hilfe sein – oder Hass, Zwietracht, Neid, Erbstreit, Lüge und Verdunkelung. Verwandtschaft natürlich vor allem, aber verwandt sind alle Menschen untereinander. Also ist die allgemeine Definition vermutlich am besten diese: Verwandtschaft ersten und zweiten Grades.

Im welchem Verhältnis steht das „Ich“ des Romans zu seiner Familie?

Ich würde sagen: ziemlich alltäglich. Typische Familienkonstruktion in einer typischen Nachkriegsfamilie. Vieles bleibt im Dunkeln, nirgends brechen die Geschwüre wirklich auf. Ein auf mich ungesund wirkende Konstruktion.

Was ist für persönliche Eigenständigkeit innerhalb von Familie nötig?

Ich glaube, das hängt von der psychischen Gesamtlage in einer Familie ab. Die einen werden mehr Distanz entwickeln müssen, die anderen weniger.

 

Wie können Individualismus und Zusammengehörigkeit überein gehen?

Na ja, je weniger dumpf es in einer Familie zugeht, desto weniger ist hier ein Dissens zu erwarten. Vermute ich. Die Manns (Thomas, Heinrich, Katja, Klaus, Golo) waren alle individuell. Wenn auch nicht unbedingt glücklich.

Wie hat sich der Familienbegriff in der gegenwärtigen Gesellschaft generell geändert?

Wir waren früher mit 15, 16 alle froh, wenn wir ohne die Eltern waren, und mochten es nicht, wenn sie uns telefonisch hinterherforschten. Heute rufen die 20jährigen ihre Eltern an, um zu erfahren, wo sie sind. Die lösen sich alle nicht mehr so recht aus der vermeintlichen Harmonie, kommt mir vor.

Sie lesen am 26. Juni aus diesem Roman in Wiesbaden. Sie haben bisher aus jedem Ihrer Romane in Wiesbaden gelesen – warum?

Weil ich dankenswerter Weise immer eingeladen wurde. Das geht mir sonst nur noch in meiner Heimatstadt Friedberg, in Berlin im Brechthaus und in Freiburg so.

Was kommt nach der „Familie“?

Als nächstes kommt ein Buch ausschließlich über Sex. Ich bin schon ziemlich weit.

Foto: Andreas Maier ©wikimedia

Andreas Maier am 26. Juni 2019 im Literaturhaus