Welttag des Buches im Literatur-Caféhaus

26.04.2022 / Förderverein Literaturhaus Wiesbaden, Viola Bolduan


Vom Vormittag an sind viele Besucher*innen im Haus. Der Welttag des Buches am 23. April wird in Kooperations-Veranstaltungen von Förderverein Literaturhaus und Literaturhaus im Literaturhaus gebührend gefeiert. Die Kaffee-und-Kuchen-Theke findet schon vor der ersten Lesung für Kinder Zuspruch. Manche betreten gar das erste Mal die großbürgerliche Villa Clementine und können sich nicht satt sehen am gründerzeitlichen Dekor des Hauses. Es sollte eben offen sein für alle, auch tags über zum Schauen – nicht nur an Leseabenden. Der Förderverein will den Zuspruch, den das Literaturhaus erfährt, unter Beweis stellen und ermuntern, indem er mit ehrenamtlichen Helfer*innen den gesamten Tag über Speisen und Getränke anbietet, zumal der Gelbe Salon an diesem Tag als Café doch einmal wieder genutzt werden kann. Und im Café präsentiert Katalyn Hühnerfeld denn um die Mittagszeit lebhaft und ausdrucksstark Kurt Tucholsky zur Suppe, angerührt von den Hofköchen und serviert von Karina Bertagnolli vom Verlagshaus Römerweg. Die Verlegerin gibt nach dem leiblichen Gericht den Gästen den Tucholsky-Band „C`est la vie–! Ssälawih–!“ in die Hand als gelesen werden wollendes Dessert.

Als weiterer Kaffeehaus-Literat macht Erich Kästner den Auftakt für ein Nachmittags-Programm mit „Die Konferenz der Tiere“, gelesen von Schauspieler und Regisseur Andreas Mach, der die vielen verschiedenen Tieren bravourös stimmlich charakteristisch zu Wort kommen lässt. Kästners Buch ist mit seinem Aufruf gegen den Krieg gerade höchst aktuell und wird genauso aufgenommen.

Das Fördervereins-Motto des Welttags des Buches „Freiheit für das Wort“ ist Thema im Anschluss, als Vorsitzende Rita Thies prominente Bürger*innen der Stadt mit deren Buch-Auswahl begrüßt. „Ich habe früher viel und gern gelesen“ – als er noch nicht Oberbürgermeister dieser Stadt war, aber doch länger schon Gatte einer gelernten Buchhändlerin, hört das Publikum von Gert-Uwe Mende gern. Er präsentiert Judith Kerrs „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“ als ihn geprägt habende Leseerfahrung in jungen Jahren. Felicitas Reusch (Gründerin der Wiesbadener Kunstarche) macht auf Bücher über das Bürgerkriegsland Mali aufmerksam, Presseclub-Vorsitzender Stefan Schröder hält „Erdogan, eine Biografie als Graphic novel“ von Can Dündar und „Russische Botschaften“ von Yassin Musharbash hoch, und zum Abschluss empfiehlt Buchhändlerin Jutta Leimbert u.a. Katerina Poladjans „Zukunftsmusik“.

Eine zweistündige Veranstaltung mit dem belarussischen Autor Sasha Filipenko schließt am Abend den Welttag des Buches ab. Er spreche gerade mit Dostojewski, weshalb er gern nach Wiesbaden gekommen sei, sagt er, der, geboren in Minsk, 2020 mit seiner Familie St. Petersburg verlassen hat, jetzt in der Schweiz lebt, wo der Diogenes-Verlag sein jüngstes Buch „Die Jagd“ in diesem Jahr veröffentlicht hat. Irina Kissin, Slawistin an der Uni Heidelberg, dolmetscht das Gespräch, Armin Nufer liest Passagen aus dem neuen Roman. Sasha Filipenko hadert mit Dostojewski: Über die Schuld Raskolnikows in dessen Roman „Verbrechen und Strafe“ hätte der Kollege nicht über 700 Seiten lang verhandeln müssen. „Das Unzulässige ist unzulässig. Punkt.“ Es ist die Einsicht eines Journalisten, der beim kritischen Sender „Doschd“ in Russland gearbeitet und die Schikanen und Propaganda-Mechanismen erfahren hat. Ein Journalist, Anton Quint, ist – verfolgt und gehetzt – auch die Hauptfigur im neuen Buch. Die derzeit in der Ukraine herrschenden Sprache der Gewalt definiert der Autor als die des „Rugby-Spielers“ Putin, rational geplant und von langer Hand durch ein weites, komplexes Propaganda-Netz vorbereitet. In Russland, so Filipenko, gebe es eben keine Gesellschaft, nur einzelne Interessenvertretungen, daher auch keine verbreiteten Proteste gegen den Angriff. „Was sind das für Väter, die ihre Söhne in den Krieg schicken, die Ja sagen zum Tod“? Im Roman bildet Filipenko Vater-Figuren ab und ist selbst einer am Abend – der kleine Sohn sitzt aufmerksam im Publikum, das im Programm gut vorbereitet war auf diesen Abschluss. So auch der Förderverein, der jetzt Brot- und Kuchenreste einpackt und letzte Krümel von der Theke wischt.