Wenn die Kunst im Rhein versinkt …

14.08.2020 / Viola Bolduan


„Ein Mann der Kunst“: Zu Kristof Magnussons neuem witzigen Roman

„Ich finde die Komposition so schön aus dem Fluss, der Landschaft, den Dörfern am Rhein. Und dann die Städte … Wiesbaden mit dem mondänen Charme – und als Halb-Isländer liebe ich ja eh alle Städte, in denen es Thermalquellen gibt …“. Und also hat Kristof Magnusson den Rheingau als Schauplatz für seinen neuen Roman „Ein Mann der Kunst“ gewählt. Noch bevor das Buch am 12. August erschienen ist, sprach Kristof Magnusson, der isländisch-deutsche Theater- („Männerhort“) und Romanautor („Das war ich nicht“), Übersetzer und Wiesbadener Poetikdozent 2016/17, über seinen „Mann der Kunst“ im Online-Chat des Fördervereins Literaturhaus Wiesbaden. Denn neben seinem ruhmreichen, aber menschenscheuen ,Malerfürsten‘ ist wichtiger Rollenträger eben ein Förderverein, der den Rheingau (Magnusson: „Die einzige Landschaft, die mich in Deutschland ganz tief emotional berührt“) besucht, um den Künstler-Eremiten heimzusuchen. Der weltweit renommierte Meister KD Pratz – in der Buch-Realität das Gegenteil von Protz – soll für ein zu gründendes Museum gewonnen werden. Das geht im ersten Anlauf so gründlich schief, wie pointensicher der Autor seine Figuren vom Museumsdirektor bis hin zur Vereinsvorsitzende in ihrem eifrigen Bemühen um die Kunst wunderbar ironisch darstellt. „Mir war es besonders wichtig, die Figuren mit all ihren Schrullen humorvoll zu zeichnen, aber gleichzeitig nicht parodistisch in die Pfanne zu hauen.

Der alte weiße Mann KD Pratz gerät an eine pensionierte, aber noch immer emanzipierte Psychotherapeutin als Vereinsvorsitzende, während ein gebildeter wie auch sehr beflissener Museumsdirektor den Deal so voreilig wie vergeblich schon in der Tasche zu haben meint. Das ist in Charakterisierung und Dialog schon große Erzählkunst in schlafwandlerischer Balance zwischen Realismus und Persiflage.

Realität kann freilich Fantasie bisweilen auch einholen: Als Kristof Magnusson die Burgruine Ehrenfels über Rüdesheim als Künstlerheim und -atelier literarisch als Burg Ernsteck wiederaufbaut („weil KD Pratz so ernst ist“) hat er noch nicht gewusst, dass es tatsächlich einen Maler namens Ernst Eck gab (Österreicher, 20. Jahrhundert). „Rückwirkend ist das also eine superkluge Anspielung geworden, war aber Zufall.“ Genauso offen und ehrlich gibt der Autor zu, dass die kulturpessimistische Bemerkung seiner Hauptfigur, „und wenn dann mal wieder eine große Epidemie kommt – gute Nacht“, in letzter Minute in das Buch eingefügt wurde: „Die Kontaktsperre fiel ja genau mit der Zeit zusammen, in der ich eh nicht aus dem Haus gekonnt hätte, weil ich den Roman fertigschreiben musste.“ Und Kristof Magnusson ist kein Zyniker, wenn er der Corona-bedingten Einschränkung für sich selbst auch Positives abgewinnt: „Plötzlich kann man überall mit Karte bezahlen, und die Leute drängeln nicht mehr so.“

Die Leute seines Fördervereins allerdings bedrängen den begehrten Mann der Kunst auf seiner Burg massiv. Allein der Ich-Erzähler, günstiger Weise der Vorsitzenden männerzugewandter Sohn, hält vertrauensvollen Kontakt. Und KD Pratz wiederum klärt die Vereinsmitglieder auf über einen Kunstbegriff im Gegensatz zu Fanverehrung oder gewinnträchtiger Investition: „Ich habe mich immer als Handwerker verstanden“. Magnussons Kritik an den Gepflogenheiten im gängigen Kunstbetrieb gipfelt in einer ungeheuer witzigen Kunstdemontage, als die Freunde der Kunst die Objekte ihrer Begierde einem Ort zuführen, der alles ins Fließen bringt – zum Rhein. „Wir behalten unsere Traumvorstellungen vom Rhein“, sagt der Autor im Gespräch, „weil sie uns von der Kunst und Literatur so prägnant vermittelt wurde. Der Rhein ist also ein wunderbarer Beleg für die Kraft des Erzählens, die uns so starke Bilder einpflanzen kann, dass die Realität sie nicht kaputtkriegt.“

Im Rhein also kann die Kunst nicht untergehen und in Kristof Magnussons Roman eben auch nicht. Samtpfötig kunstvoll wird hier Kritik geübt an Kunsthuberei und ihrer Entourage mit „Bildungsbürgerbespaßung“ am Feierabend. Ja, natürlich sei auch das Schreiben Bildungsbürgerbespaßung, stimmt Magnusson zu – aber: „Wo wären wir ohne Bildungsbürger! Ich bin ja selbst einer“. Und zum gelinden Choas in Fördervereinen, wie im Buch für die bildenden Kunst oder einem realen für die Literatur, kommentiert er: „Eigentlich ist es doch ein tolles Milieu, diese ganzen Leute, sie sich so ernsthaft für Kultur interessieren.“ Für uns also hat Magnusson sein Buch geschrieben – mit hohem Wiedererkennungswert. Auszuprobieren am 6. November, wenn der Autor aus dem Buch „Ein Mann der Kunst“ in Wiesbaden (Museum) liest.

Kristof Magnusson: „Ein Mann der Kunst“. Roman. Verlag Antje Kunstmann. München. 237 Seiten. 22 €.