Haben Sie schon einmal von den Brüdern Schlagintweit gehört? Im Unterschied zu ihrem Unterstützer Alexander von Humboldt hat die Nachwelt Hermann, Adolph und Robert Schlagintweit aus München bislang einen eher unbedeutenden Platz im kollektiven Gedächtnis eingeräumt. Alle drei reisten von 1854 bis 1857 zu Forschungsreisen durch Indien und das asiatische Hochland, einer kam nicht zurück. – Christopher Kloeble, ein Indienkenner, der sowohl in Berlin als auch in Dehli lebt, hat um diese Reise einen rasanten Abenteuer- und Entwicklungsroman geschrieben. In dessen Mittelpunkt stehen nicht die drei Brüder, sondern ein indischer Waisenjunge bestimmt die Perspektive und erzählt.
Bartholomäus wächst in einem von Missionaren geführten Waisenhaus in Bombay auf. Der Junge, „mindestens 12 Jahre alt“ – denn gezählt wird erst, seit er ins Heim gekommen ist – zeichnet sich durch einen aufgeschlossenen Intellekt und seine Sprachbegabung aus. Neben Englisch und Deutsch spricht er die unterschiedlichsten Sprachen seines Landes. Sein Traum ist es, das erste Museum Indiens zu gründen, das Museum der Welt. So sammelt er Objekte, die er für bemerkenswert hält, in einer kleinen Holzkiste. Dieser Unternehmung ist leider kein Erfolg beschieden, denn die anderen Waisen, die den Jungen ständig drangsalieren, verbrennen die Sammlung. Sein Mentor, Vater Fuchs, weiß Abhilfe und schenkt ihm ein Notizbuch, in dem Bartholomäus von nun an das Museum Indiens baut. Als der Pater plötzlich verschwunden ist, will der Junge sich auf die Suche nach diesem begeben. Deshalb willigt er nach einigem Hin und Her schließlich auch in das Angebot ein, das ihm die Brüder Schlagintweit offerieren. Er soll für sie als Übersetzer arbeiten.
So beginnt für Bartholomäus eine dreijährige gleichermaßen aufregende und gefährliche Reise als einer der Begleiter der Schlagintweits. Der Waisenjunge ist nur einer der vielen Helfer im begleitenden „Train“ der Brüder. Bartholomäus, gleichermaßen fasziniert und abgestoßen von den Dreien, sucht Nähe und fühlt sich bei den Deutschen doch fremd. Zudem setzt ihn die indische Widerstandsbewegung unter Druck, denn die Forscher reisen auch im Auftrag der verhassten British East India Company. Der erste indische Unabhängigkeitskrieg (Sepoyaufstand) ist in Sichtweite, der Junge ständigen Loyalitätskonflikten ausgesetzt. Zu wem gehört er?
Das, was den Roman besonders macht, ist die Abkehr von der üblichen Sicht der europäischen Reisenden, der Kolonialisten, auf das Geschehen. Die Figur des jungen, sympathischen Protagonisten wirkt dabei durchgehend authentisch, eine erzählerische Perspektive, die Christopher Kloeble überzeugend gelingt. – Gewünscht hätte ich mir schließlich aber noch ein Glossar zu den mir unbekannten indischen Wörtern – aber vielleicht gehört das Nichtvorhandensein desselben auch zum Perspektivwechsel.
Rita Thies