Iris Wolff, 1977 im rumänischen Sibiu (Hermannstadt in Siebenbürgen) geboren, lebt seit 1985 in Deutschland, heute in Freiburg im Breisgau. Für den Roman „Die Unschärfe der Welt“, der u.a. auch auf der Short-List 2020 für den Deutschen Buchpreis stand, bekam sie dieses Jahr den Evangelischen Buchpreis. Der Roman wurde ebenso bei den weiteren Auszeichnungen, die sie in 2021 für ihr bisheriges Gesamtwerk schon erhielt, hervorgehoben: Marie Luise Kaschnitz-Preis, Preis der LiteraTour Nord und Solothurner Literaturpreis.
In „Die Unschärfe der Welt“ erzählt Iris Wolff eine Familiengeschichte über vier Generationen, die zum größten Teil im Banat verortet ist. Ein kleines Dorf in der Nähe der Stadt Arad, nahe der rumänischen Westgrenze. Hierhin ziehen Anfang der 70er Jahre Hannes und Florentine in ein Pfarrhaus, denn er hat die Pfarrstelle in der deutschsprachigen Gemeinde zugewiesen bekommen. Es ist die Zeit der Diktatur Ceausescus, der das Land mit eiserner Hand regiert und dessen Schergen ihre Macht auch den Pfarrer spüren lassen.
Der Sohn des jungen Paares, Samuel, ist derjenige, auf den sich im Laufe des Romans die einzelnen Erzählstränge zubewegen. Denn die sieben Kapitel werden aus der Perspektive unterschiedlicher Personen und Generationen erzählt, sind aber geschickt miteinander verzahnt. Da gibt es Karline, die weiterhin von König Michael träumt, ein homosexuelles Paar, in einer Zeit, als Homosexualität verboten ist, eine spektakuläre Flucht in den Westen…
Doch ist dies alles nur der äußere Rahmen des Erzählten – das, was die Autorin auslotet, sind die Gefühle und das Denken jeder einzelnen Figur. Was diesen Roman zu einem Buch macht, das man nicht aus der Hand legen möchte, ist ihre Kunst, das individuell Erlebte und Gefühlte ruhig und sinnlich zu erzählen. Und klug, wie sie ist, lässt die poetische Zauberin Wolff immer wieder Gedanken aufblitzen, die dem Blick des Publikums von Anfang an Konturen aufzeigen: „Florentine spürte Worten gegenüber ein nie ganz aufzulösendes Unbehagen. Die Unschärfe der Aussagen verunsicherte sie. Wie sehr sie sich auch bemühte: Sprechen reichte nicht an die Wirklichkeit der Erfahrung heran.“
Iris Wolff schafft mit „Die Unschärfe der Welt“ meisterliche Literatur, indem sie genau solche inneren Bilder entstehen lässt, die die Wirklichkeit anderer Welterfahrung nachempfinden lassen. Vielleicht mit „jene(r) Offenheit, die ohne Urteil“ auskommt, so wie bei Florentine und Hannes in diesem berührenden Roman.
Iris Wolff, Die Unschärfe der Welt. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2020 (Gebunden, 216 Seiten, 20,- Euro)
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