Literaturforum am 16. Juni 2020 im Online-Chat

Merethe Lindstrøm: Tage in der Geschichte der Stille


Matthes & Seitz Berlin Verlagsgesellschaft mbH, Berlin 2019, 221 Seiten, norwegisches Original 2011


Dänemark, Finnland, Schweden, Norwegen und Island vergeben jährlich gemeinsam einen wichtigen und mit umgerechnet 47.000 Euro gut dotierten Literaturpreis, den „Literaturpreis des Nordischen Rates“. Im Jahr 2012 wurde Merethe Lindstrøm für „Tage in der Geschichte der Stille“ ausgezeichnet.

In Lindstrøms Roman erzählt Eva. Eine pensionierte Lehrerin , die mit ihrem Mann Simon, einem ehemaligen Arzt, in einem großen Vorort-Haus im norwegischen Bergen lebt. Die drei Töchter sind schon lange ausgezogen, Freunde gibt es auch keine, es ist still geworden um die beiden. Simon, weit über achtzig, demenzerkrankt, schweigt. Eva leidet unter diesem Schweigen und versucht in ihren Erinnerungen die Ursachen für diese Stille zu ergründen. Sukzessive – und das macht die subtile Spannung dieses Romans aus – setzt sich aus ihren einzelnen Bildern und Gedanken an die gemeinsame Vergangenheit die Geschichte zu einem Ganzen zusammen.

Simon und Eva schleppen beide ein Trauma mit sich herum – mehr soll hier nicht verraten werden – jedoch wählt das Ehepaar sehr unterschiedliche Wege, damit umzugehen. Er möchte beispielsweise den Kindern in jungen Jahren davon erzählen, sie verhindert dies mit den Worten: „Bring nicht die Dunkelheit hier herein.“ Das Leben ist bequem eingerichtet, und die Idee vom familiären Glück verträgt in ihren Augen keine Verzerrungen. Während Simon sich auf die Suche nach dem Verlorenen macht, möchte Eva verdrängen. Auf Simon wirkt die von Eva gegenüber Kindern und anderen durchgesetzte Selbstverleugnung zerstörerisch. Das eingeforderte Schweigen führt letztendlich zu Unverständnis und zum Zerfall der Familie …

Rita Thies