In diesem Literaturforum möchte ich Ihnen Romane vor- und zur Diskussion stellen, die die Namen von zwei historisch verbürgten ausgewöhnlichen Frauen im Titel tragen. Frauen, die für die Zeit, in der sie lebten, ein sehr emanzipiertes und ein zum Teil sehr Aufsehen erregendes Leben geführt haben.
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Der Schweizer Autor Alex Capus widmet sich in seinen Roman „Susanna“ der Geschichte von Susanna Carolina Faesch, die als Caroline Weldon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den USA als Bürgerrechtlerin, Porträtmalerin und Aktivistin für die Rechte der indianischen Ureinwohner bekannt wurde.
Susanna wird 1844 in Basel geboren. Die kleinbürgerliche Enge setzt schon ihren Eltern zu: Ihr Vater Lukas Faesch verabschiedet sich zu gewünschten Abenteuern bei der Legion, doch wenn er wieder zu Hause ankommt, passt er sich der freudlosen Bigotterie der Umgebung an. Und auch Mutter Maria träumt von anderem… Capus´ Susanna weiß sich von Anfang an durchzusetzen: Als ihr im Alter von fünf Jahren der „Wilde Mann“ beim Basler Zunftbrauch zu nahekommt und sie Angst befällt, fährt sie mit ihren Fingern durch seine Maske. Sie sticht dabei dem Knecht Anton ein Auge aus. Ihr Vater zahlt für den Schaden, und einige Zeit später macht sich das eigenwillige Kind auf, Antons Kutsche anzuhalten, damit er sie mitnimmt. –
Ihre Mutter entscheidet sich derweil, den Vater zu verlassen: Sie will dem Armeefreund des Vaters, Karl Valentiny, der über die Schweiz nach Amerika fliehen muss, folgen. Valentiny hat in Dortmund als Arzt gelebt und praktiziert und wurde von den revolutionären Freiheitsbewegungen gestreift. Susanne reist mit Maria nach Amerika in ein neues Leben, ihre Brüder bleiben beim Vater im alten.
Schon als Kind beginnt Susanna in New York Porträts zu malen, so erfolgreich, dass sie schon als junges Mädchen gutes Geld damit verdient. Sie malt auch als Erwachsene die Bilder in der Regel von den gerade überall beliebten Fotografien ab. So auch das Bild von Sitting Bull, dem Häuptling der Sioux, welches sich ihr Sohn Christie gewünscht hat. Ihm zuliebe macht sie sich auf und reist mit dem Jungen quer durchs Land bis zu den Dakota-Sioux…
Alex Capus zeichnet nicht nur die unglaublichen Emanzipationsgeschichten Susannas und ihrer Mutter nach, sondern schafft zugleich ein gewaltiges und anschauliches Epochenbild einer Zeit im Aufbruch. Die Begeisterung für seine freiheitsliebende Protagonistin springt auf die Leser*innen über. Insofern ist es konsequent, den Roman mit der ersten Begegnung der beiden enden zu lassen und das böse Ende, das Sitting Bull und seinem Volk mit dem Massaker am Wounded Knee widerfährt, in dieser Geschichte nur durch eine Vorwarnung von Susanna zu touchieren.
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Der österreichische Autor und Journalist Lenz Koppelstätter ist Krimifans als Schöpfer der Reihe um Commissario Grauner bekannt. In „Almas Sommer“ widmet er sich einem legendären Ehepaar der Belle Époque: Alma und Gustav Mahler.
Wer anhand des Romantitels nun vermutet, dass die Geschichte aus Almas Sicht erzählt würde, liegt falsch. Koppelstätter wechselt die Erzählperspektive zwischen ihr und Gustav, und lässt uns so teilhaben an der Entwicklung einer überaus toxischen Beziehung, eines ehelichen Kleinkriegs zwischen dem erfolgreichen Komponisten, Dirigenten und Direktor der Wiener Hofoper und seiner 19 Jahre jüngeren Frau.
Alma, geborene Schindler, und Gustav können nicht unterschiedlicher sein: Sie liebt das anregende und pulsierende Leben in Wien, er liebt es, sich von Gesellschaften fernzuhalten und Musik zu schaffen. Den idealen Ort, an dem er in Ruhe komponieren kann, findet Gustav in Toblach, einen kleinen Ort in den Südtiroler Dolomiten. Er genießt es, dort die Berge zu erklimmen, so, wie sie es gleichermaßen hasst. Auch den Sommer im Jahr 1910 verbringt er dort, wartend auf seine Ehefrau und vor allem auf geniale Eingebungen für seine Kompositionen. Als sie schließlich aus einer Kur kommend dort anreist, wird das von ihm herbeigesehnte und vor ihr gefürchtete Wiedersehen zu einem Desaster: Ihr Kurschatten, der junge Walter Gropius, zu dieser Zeit noch ein unbekannter Architekt, adressiert einen Liebesbrief an Gustav anstatt an Alma und reist ihr schließlich auch noch nach…
Die Geschichte um den falsch adressierten Liebesbrief ist historisch verbürgt – eine der vielen Anekdoten um das berühmte Paar. Und wer mag schon sein Schmunzeln verbergen, wenn Koppelstätter ausmalt, wie Gustav, um jedweden störenden Lärm beim Komponieren auf dem Lande zu vermeiden, den auf den Feldern singenden Bauern immer mehr zahlen muss, damit sie dies unterlassen. Es ist ein leichtfüßiger und ironischer Ton, der den erzählerischen Schwung dieses Romans formt. Das ist überaus unterhaltsam zu lesen und lässt mich auch ein wenig über die Tatsache hinwegsehen, dass ich mir das Porträt Almas etwas differenzierter gewünscht hätte. Denn sie bleibt, trotz eingestreuter Erklärungen in den Rückblenden des Romans, die femme fatale, zu der sie die Zeitgenossen ausriefen.
Rita Thies