Literaturforum am 2. Juni 2020 im Online-Chat

Mohsin Hamid: Der Fundamentalist, der keiner sein wollte


DuMont Buchverlag, Köln 2017, 189 Seiten (Original: The Reluctant Fundamentalist, 2007)


Pakistan, in einem Straßencafé in Alt-Lahore. Ein junger Mann mit ausgesprochen höflichem Auftreten setzt sich mit den Worten: „Sie brauchen keine Angst vor meinem Bart zu haben: Ich liebe Amerika“, an den Tisch eines Unbekannten. Letzterer, vermutlich ein Amerikaner, wird nun ungefragt Zuhörer der Lebenserzählung des Pakistani.

Changez, so sein Name, hat viereinhalb Jahre in Amerika gelebt. Als junger Mann kommt er in das Land und studiert an der Eliteuniversität Princeton. Er bewegt sich im Umfeld gutsituierter junger Menschen, fährt mit Studienkollegen ins Ausland und lernt in dieser Gruppe Erica kennen, in die er sich verliebt. Sein amerikanischer Traum scheint Wirklichkeit zu werden; er schließt Ende 2000 sein Studium erfolgreich ab und wird sofort als Unternehmensberater bei Underwood, Samson & Company engagiert. Der westlich orientierte Muslim erfährt von seinem Vorgesetzten Unterstützung, engagiert sich und unterwirft sich den „fundamentals“ der Firma völlig. Leitprinzipien, die fordern, dass der ökonomische Erfolg absolut vorrangig gilt. Er ist der beste „Hai“ der Firma, er passt sich erfolgshungrig bis zur Selbstaufgabe an. Doch ihn befallen immer mehr Zweifel, auch die Beziehung zu Erica läuft nicht so, wie er sie sich vorstellt. Seine Liebe erwidert sie nicht, stattdessen hängt die psychisch angeschlagene Frau weiter an ihrem verstorbenen Freund Chris. Nach den Anschlägen am 11. September 2001 nimmt die Entfremdung von Erica und zu Amerika zu. Changez erwischt sich dabei, wie er bei dem Gedanken, dass man diese selbstbewusste Nation verletzt habe, lächelt. Sein ehemaliger Traum verwandelt sich ob seiner völligen Zerrissenheit in einen Alptraum, in dem er sich in seinem wachsenden Gefühl der Fremdheit von Amerika abwendet und wieder nach Pakistan zurückgeht …

Sein Zuhörer, dem die gesamte Situation Unbehagen bereitet, kann Changez’ Monolog, der wie eine Beichte oder ein Geständnis daherkommt, nicht entfliehen …

Changez findet keine Heimat – ist er nur ein junger Mann auf der Suche nach Identität oder ein Gefährder? Bedrohlich, verstörend, unheimlich?

Rita Thies