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Giosuè Calaciura: Die Kinder des Borgo Vecchio


Giosuè Calaciura: Die Kinder des Borgo Vecchio
Aufbau Verlag GmbH & Co.KG, Berlin 2019 (Italienisches Original 2017), 154 Seiten

In Italien wurde Giosuè Calaciura  2017 für „Die Kinder des Borgo Vecchio“ mit dem Premio Volponi ausgezeichnet, das Werk als „eines der schönsten und grausamsten Bücher des Jahres“ zusammengefasst (Corriere della Sera).

Im Mittelpunkt des Romans stehen drei Kinder. Mimmo, dessen Vater das Wurstwarengeschäft im Viertel betreibt und mit manipulierter Waage seine Kunden übers Ohr haut. Mimmos Freund Cristofaro, der jeden Abend von seinem betrunkenen Vater windelweich geschlagen wird. Und schließlich Celeste, die Tochter der Prostituierten Carmela, die auf den Balkon verbannt wird, wenn ihre Mutter Kunden empfängt. Im abgeschotteten Kosmos des Borgo Vecchio, eines Viertels, in dem kleine und große Kriminelle ihre ganz eigenen Gesetze schreiben, ist es auch für Kinder, unschuldig geboren, kaum möglich, nicht schuldig zu werden. So ist ihr großes Vorbild, dem sie vertrauen, Totò, ein Straßenräuber, von dem Heldengeschichten kursieren. Er soll dabei helfen, Cristofaros prügelnden Vater zu beseitigen, doch Totò hat sich eigentlich vorgenommen, ein besseres Leben zu führen …

Mit archaischer Wucht, brutaler Gewalt, kommt diese Geschichte daher. Doch poetisch in Szene gesetzt, entwickelt sie ihre sehr eigene Magie exakt aus diesem Gegensatz zwischen Erzählweise und Erzähltem. Grausames, ja Ungeheuerliches, wird scheinbar beiläufig beschrieben und wirkt dadurch umso bitterböser nach: „In Borgio Vecchio wusste man, dass Cristofaro jeden Abend das Bier seines Vaters weinte … Und auch Tritte, doch nie ins Gesicht. Cristofaros Vater war die Ehre seines Sohnes wichtig: Niemand durfte die Schmach der blauen Flecke sehen.“

Wird es eine Erlösung geben? Mehr von dem, was der herrliche Brotduft verspricht, wenn er durch das Viertel zieht? Gibt es Vergebung, wenn alles himmelblau gestrichen wird? Die Geschichte nimmt tatsächlich biblische Ausmaße an …

Der Autor jedenfalls beherrscht die Fabulierkunst, ist ein Meister erzählerischer Kniffe, wenn er z.B. ein Pferd reden lässt oder eine Pistolenkugel sich ihren Weg durchs Viertel sucht – aber lesen Sie selbst.

(Rita Thies)