Daniela Dröscher: „Lügen über meine Mutter“, Roman, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2022, 448 Seiten (Hardcover, 24,- Euro)
Fatma Aydemir: „Dschinns“, Roman, Carl Hanser Verlag GmbH & Co KG, München 2022, 368 Seiten (Hardcover, 24- Euro)
Liebe Freund*innen des Literaturforums,
diesmal habe ich mich entschlossen, entgegen meiner üblichen Verfahrensweise hier keinen eigenen Text zu den zwei Romanen einzustellen, die beide für die Shortlist des Deutschen Buchpreis 2022 nominiert waren. Stattdessen habe ich als Anregung für die Diskussion im Forum jeweils ein paar Pressestimmen zusammengesucht.
Ich würde mich freuen, wenn Sie als Teilnehmer*innen ein paar eigene Sätze zu den Romanen verfassten, die ich gerne auf dieser Seite einstellen werde.
Rita Thies
Pressestimmen zu Fatma Aydemirs Roman „Dschinns“
- Fatma Aydemirs „Dschinns“ ist ein Familienroman von außerordentlicher Intensität. (Meike Fessmann, Süddeutsche Zeitung)
- Identität und fluide Sexualität, weibliche Selbstermächtigung und staatliche Gewalt gegen marginalisierte Gruppen, Rassismus, Klassismus und ein patriarchalisch geordnetes Wertesystem – es gibt kaum ein Schlagwort des aktuellen Diskurses, das Fatma Aydemir auslässt. „Dschinns“ ist sowohl ein Buch der Zeit als auch des Zeitgeistes. Kein gelungener literarischer Text, in der Form unausgegoren, in seiner politischen Agenda oft wenig subtil. Aber dessen ungeachtet ist „Dschinns“ auch ein bemerkenswerter…Text…“ (Christoph Schröder, Deutschlandfunk)
- Als Hüseyin stirbt, bricht all das Ungesagte in der Familie Yilmaz auf, verschlingt sich im Laufe des Romans und entwickelt den Sog, den sehr gute Unterhaltungsliteratur ausmacht und der dafür sorgt, dass man „Dschinns“ kaum aus der Hand legen kann. (Eva Thöne, Spiegel)
- „Dschinns“ ist kein unpolitischer Roman, und die Migrationserfahrung spielt bei jedem und jeder eine große Rolle. Aber es ist mehr ein Buch über Trauer und die Wege, die sie in diesem eigentümlichen Geflecht Familie nimmt. (Eva Thöne, Spiegel)
- Die Sprache erinnert zuweilen an die Zeitungskolumnen der meinungsstarken Autorin, die Redakteurin bei der taz ist. … – Dementsprechend konfrontativ sind die Figuren angelegt, die manchmal wie Platzhalter für die Kritik der Autorin an Rassismus, Sexismus und Kapitalismus wirken. (Carsten Otte, SWR 2)
- Der Roman ist aus sechs Perspektiven erzählt, den Perspektiven der Familienmitglieder. Neben den Eltern sind das die drei erwachsenen Kinder, Sevda, Hakan, Peri, dazu der fünfzehnjährige Ümit. Währende deren Perspektive in erlebter Rede geschildert wird, wählt Aydemir bei Hüseyin und Emine die Du-Perspektive. Sie werden von inneren Stimmen angesprochen, die sich von Ihnen ablösen können. Wie sonst sollte von den letzten Gedanken eines sterbenden Menschen erzählt werden, wenn nicht aus der Perspektive eines Geistes, eines Dschinn oder eines „Schattens“? So nennt sich die Stimme, die dem sterbenden Hüseyin verspricht, sie werde „hierbleiben“, in seiner Wohnung, „und ich werde über deine Familie wachen“. (Meike Fessmann, Süddeutsche Zeitung)
- Im ersten und im letzten Kapitel von „Dschinns“ spricht Aydemirs Erzählinstanz ihre Figuren in der zweiten Person direkt an. Diese Perspektive erzeugt zum einen eine empathische Nähe, zum anderen aber auch einen logischen Widerspruch, denn streng genommen werden hier einem Menschen Dinge über sich und sein Leben erzählt, die er selbst am besten weiß. Die unklare Perspektive der Erzählstimme zu den Figuren sorgt im Lauf des Romans immer wieder für Irritation.“ (Christoph Schröder, Deutschlandfunk)
- Die Söhne bleiben blass (Christoph Schröder, Deutschlandfunk)
- Was Fatma Aydemir an schicksalhaften Volten in ihren Roman einbringt, ist zwar durchaus möglich, aber wenig realistisch. (Christoph Schröder, Deutschlandfunk)
Stimmen vonTeilnehmer*innen des Literaturforums zu „Dschinns“
- Fatma Aydemir hat einen großartigen Familienroman verfasst. Hier prallen Orient und Oxident aufeinander. Die Fliehkräfte unterschiedlicher Lebensformen bringen den Zusammenhalt der Familie auseinander. Keiner wird mit seiner Lebensgestaltung wirklich glücklich. Nicht viele Menschen des Gastlandes können sich in die Lage ihrer Gastarbeiter hineinversetzen. Auch diese bleiben unter sich und leben schlecht und recht mit ihrer Isolation und Einsamkeit in einem fremden Land. – Die Autorin Fatma Aydemir schreibt voller Empathie, feiner Beobachtung und sensibler Wahrnehmung, was in dieser Familie mit den einzelnen Mitgliedern passiert. – Der Leser*in bleibt nicht unberührt vom Geschehen und schaut mit anderen Augen auf Menschen, die als Arbeiter unser Land unterstützen und sich selber fast verlieren in der Hilflosigkeit. (Claudine Borries, Literaturforum. Ihre gesamte Besprechung ist hier zu lesen:https://www.leselupe.de/blog/2022/11/15/fatma-aydemir-dschinns
- Als der Vater die fast 15 Jahre alte Sevda nach Deutschland holt, kauft er ihr unterwegs ihre erste Handtasche, und dazu ein besticktes Taschentuch, damit sie etwas hat, was sie hineintun kann. Ein solches Detail sagt mehr als seitenlange Schilderungen …. (Rita Wellbrock, Literaturforum)
Pressestimmen zu Daniela Dröschers Roman „Lügen über meine Mutter“
- Daniela Dröscher erzählt in „Lügen über meine Mutter“ von einer Frau, die sich dagegen wehrt, den Schönheitsidealen ihres Mannes ausgeliefert zu sein. Ein beeindruckender Roman über die fatale Dynamik einer Ehe und gesellschaftliche Zuschreibungen und Zurichtungen. (Wiebke Porombka, Deutschlandfunk)
- Eigentlich ist dieser Mann ein armer Wicht, der seine eigenen Minderwertigkeitskomplexe kaschiert, indem er seine Frau kleinhält. „Lügen über meine Mutter“ ist daher zwar ein Roman über Unterdrückung und psychische Gewalt, aber auch über toxische Männlichkeit, die die Familie letztlich kaputt macht. (Theresa Hübner, WDR)
- Daniela Dröscher rechnet in ihrem Roman „Lügen über meine Mutter“ beiläufig auch mit nostalgischen Blicken auf die Achtziger ab. (Judith von Sternburg, Frankfurter Rundschau)
- Düstere Familienatmosphäre, durchs Dorf verstärkt (Anna Flörchinger, FAZ)
- Im Ganzen gleicht das Buch einer Langzeitbeobachtung, einer Sozialstudie, die Mutter, Land und Zeitgeschichte fest in den Blick nimmt und doch von nichts so viel erzählt, wie von der Tochter selbst und ihren Reaktionen auf all das. Scham ist das Zauberwort: „Erst mit den Jahren verstand ich, dass gar nicht ich es war, die sich schämte. Es war eine Scham zweiter Ordnung. Ich sah meine Mutter mit den Augen meines Vaters.“ (Shirin Sojitrawalla, nachtkritik)
- Das Gewicht oder eine Kilo-Zahl wird übrigens an keiner Stelle des Romans genannt. Das ist ein kluger Schachzug der Autorin, denn kaum eine Frau findet sich schlank genug. Dafür gibt es kein Maß. (Annemarie Stoltenberg, NDR Kultur)
- Lügen über meine Mutter ist ein Buch, das alle lesen sollten, die Mütter, Töchter, Väter oder Söhne sind. (Theresa Hübner, WDR Kultur am Mittag)
- Und so erzählt „Lügen über meine Mutter“ nicht nur eine unerhörte familiäre Tragödie, sondern weit über das Private hinaus ein immer noch unterbelichtetes Kapitel weiblicher Alltags- und Sozialgeschichte. Daniela Dröscher in einem Atemzug mit Annie Ernaux zu nennen, ist unbedingt angemessen. (Wiebke Porombka, Deutschlandfunk)
- Der Titel des Romans erklärt sich aus einem kurzen Wortgefecht. „Wenn Du nicht endlich redest, muss ich etwas erfinden. Ich muss lügen“, droht die Tochter, worauf die Mutter kontert: „Nur zu. Das ist ja dein Beruf.“ – „Lügen über meine Mutter“ meint aber auch all die Unwahrheiten und Gemeinheiten, die über sie im Umlauf sind und waren. (Shirin Sojitrawalla, nachtkritik)
Stimmen von Teilnehmer*innen des Literaturforums zu „Lügen über meine Mutter“
- Die achtziger Jahre mit ihren gesellschaftlichen und familiären Zwängen werden ausgezeichnet wiedergegeben. Die Grünen ziehen in den Bundestag ein, und Kohl wird Bundeskanzler. Männerherrschaft in allen Bereichen wird überzeugend beschrieben. Mit der Emanzipation hat es in dem abgelegenen Dorf, und vielleicht nicht nur dort, noch nicht geklappt. – Das Buch liest sich flüssig. Es sind bedrückende Jahre ihrer Kindheit, die von der erwachsenen Ela/ Dröscher zu einem aufschlussreichen Familienporträt verarbeitet wurden. Man kann sich den Sog der Erzählung nicht entziehen. (Claudine Borries, Literaturforum. Die gesamte Besprechung von ihr ist hier zu lesen: https://www.leselupe.de/blog/2022/11/01/daniela-droescher-luegen-ueber-meine-mutter/
- Der Autorin gelingt es, die verschlungenen Facetten der Beziehungen zwischen den Großeltern, den Großeltern und deren Kindern sowie zwischen Mutter und Vater sehr präzise zu schildern. Eine Familienhölle. Jedes Familienmitglied ist auf seine Weise gefangen in seinen Wahrnehmungsmustern, und die ständigen Spannungen und Konflikte erscheinen unauflösbar. Besonders berührt hat mich, wie das Kind sich unentwegt bemüht, zu verstehen, was geschieht, wer was warum sagt und tut, und Empathie entwickelt sowohl für die Mutter wie auch für den Vater. (Rita Wellbrock, Literaturforum)