Mit Markus Thielemanns „Von Norden rollt ein Donner“ und Verena Güntners „Power“, sind diesmal zwei Romane aufgerufen, die auf dem Land spielen. Doch von Idylle keine Spur – von der träumen nur anreisende Großstädter, die Sinnstiftung in der Natur suchen und das Leben von Dörflern romantisieren…
In Verena Güntners „Power“ ist der Ort der Handlung ein Dorf irgendwo im Zonenrandgebiet, könnte aber auch überall dort in Deutschland spielen, wo ein kleiner landwirtschaftlich geprägter Ort mit einem verbliebenen Edekaladen von Feldern und Wäldern umgeben ist. „Power“ ist der Name des Hundes der Hitschke, der verschwunden ist. Die einsame ältere Frau ist froh, dass sich das elfjährige Mädchen Kerze der Suche annimmt. Ein außergewöhnliches Kind, das sein Versprechen, den Hund zurückzubringen, einlösen will. „Weil sie Kerze ist. Ein Licht in dieser rabenschwarzen Welt.“ Kerze sieht ab und an Geister, glaubt nur an Keingott und sucht Power systematisch überall im Dorf sowie allein im Wald. Nach und nach schließen sich immer mehr Kinder der Suche an. Sie verschwinden im Wald und unter der Führung von Kerze entwickeln sie sich zu einem Rudel, das bellt, jault, sich auf allen Vieren bewegt, um dem Hund zu finden. Die Kinder kommen nicht mehr nach Hause und beißen auch, als Erwachsene versuchen, einzelne brutal einzufangen.
Denn die Erwachsenenwelt im Dorf ist keine freundliche: Als es nicht gelingt, die Kleinen zur Rückkehr zu bewegen, formiert sich schnell ein rücksichtsloser Mob, der die Hitschke als Ursache der Misere ausmacht und sie verfolgt und bedroht.
Gleichzeitig tauchen im Wald Städter auf, die sich den Kindern anschließen wollen, um ihren entfremdeten Leben wieder einen Sinn zu geben…
Verena Güntners parabelhafter Roman wurde 2020 für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert und erhielt 2021 den Schubart-Literaturförderpreis. Ich hätte diesem Werk noch weitere Auszeichnungen gegönnt, denn die unwirkliche Geschichte dieser Rebellion der Kinder gegen eine barbarische Zivilisation ist eine mit unerwarteten Wendungen und originellen Einfällen. Und diese entfachen Imagination und sicher auch unsere Diskussion.
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In Markus Thielemanns Roman „Von Norden rollt ein Donner“ lebt der 19jährigen Schäfer Jannes Kohlmeyer zusammen mit seinen Eltern, Sibylle und Friedrich, und seinem Großvater, Wilhelm, auf einem Hof in Unterlüß in der Lüneburger Heide. Ein paar Ziegen als auch eine große Herde Heidschnucken hütet er. Dies nicht weit entfernt vom Rüstungshersteller Rheinmetall, der seine Munition testet. Auch das ehemalige Konzentrationslager Bergen-Belsen ist nicht weit entfernt; es ist eine Landschaft, die sowohl aus Naturschutzgebieten als Truppenübungsplätzen und Sperrgebieten besteht. Hier wird der Wolf, der geschützt ist, aber in der Gegend Tiere reißen soll, zum größten Feind und Gesprächsthema der Tierhalter. Vater und Großvater sind sich in der Frage überhaupt nicht einig, der eine baut bessere Zäune, der andere plädiert fürs Abschießen.
Darüber hinaus quält Jannes die Tatsache, dass er plötzlich einen Geist, eine Frau, in der Heide sieht und anfängt, an seinem Verstand zu zweifeln. Zumal seine demente Großmutter Erika vor kurzer Zeit in ein Pflegeheim musste und auch sein Vater Ausfallerscheinungen zeigt. Sukzessive setzt sich sein Gedankenpuzzle zusammen: Der Geist ist die Rosa, von der die Großmutter oft wirr erzählte. So enthüllt sich nach und nach ein Familiengeheimnis. –
Dass Großstädter in die vermeintliche Idylle einfallen, Sender Beiträge über das scheinbar romantische Arbeitsleben der Schäfer drehen und diese das Tourismusgeschäft dringend brauchen – auch das ist eine Wahrheit in Thielemanns Roman. Ebenso wie der neu zugezogene Nachbar einer Professorenpartei, der sich der Familie andient und der die Wolfsangel, ein Hasssymbol der Nazis, als Erkennungszeichen trägt… –
Thielemann fängt mit seinen präzisen Landschaftsbeschreibungen die düstere Atmosphäre der Gegend und ihrer Geschichte ein und verdichtet sie so zu einem aktuellen und großen Stoff. Einen, der auf der Shortlist für den diesjährigen Buchpreis stand und den ich ebenfalls gern mit Ihnen debattiere.
Rita Thies