Literaturforum am 6. Juli 2021 via Zoom

John Williams: Stoner


1965 publizierte der Literaturdozent und Autor John Williams (1922-1994) „Stoner“ in den USA und hatte mit dem Roman damals mäßigen Erfolg. Als die Neuausgabe dort 2006 als wiederentdeckter Klassiker gefeiert wurde, folgten weltweit Übersetzungen mit hohen Auflagen. In Deutschland erschien „Stoner“ erstmalig 2013 bei dtv, übersetzt von Bernhard Robben. Auch bei uns erstürmte er die Bestsellerlisten. Warum begeistert der Roman Literaturkritiker*innen und Leser*innen gerade heute?

In „Stoner“ erzählt John Williams das Leben des Farmersohns und späteren Universitätsdozenten William Stoner. Ein entbehrungsreiches und arbeitsames Leben auf der Farm gewöhnt, schicken die Eltern den Neunzehnjährigen im Jahr 1910 zum Landwirtschaftsstudium auf die Universität von Missouri in Columbia. Als er einen Kursus für englische Literatur besucht, entdeckt er beim Lesen eines Shakespeare-Sonetts seine Begeisterung, seine lebenslang anhaltende Leidenschaft für die Literatur. Er wechselt das Studienfach und wird nach erfolgreichem Abschluss seines literaturwissenschaftlichen Studiums Hochschuldozent.

Stoner verliebt sich in eine junge Frau aus wohlhabender Familie, heiratet sie, aber die Ehe mit Edith entwickelt sich vom ersten Tag an zu einem freudlosen und frustrierenden Debakel. Zwar schaffen sie es, eine Tochter, Grace, zu zeugen, aber ansonsten ist ihr Liebes- und Eheleben reine Fassade. Edith ist unzufrieden, unberechenbar und lässt ihn ihre Ablehnung durch ständige Gängelungen und Demütigungen spüren.

So stürzt Stoner sich umso mehr in seine Arbeit mit den Studenten, die ihn ausfüllt. Er ist kein Kämpfer, nimmt die Gemeinheiten seiner Ehefrau beharrlich hin. Auch beruflich läuft nicht alles glatt, muss er Niederlagen hinnehmen. So bleibt er bis zum Ende seines Lebens Assistenzprofessor, da der ihm vorgesetzte Hollis Lomax  wegen der Auseinandersetzung um die Bewertung der Leistungen eines Studenten Stoner über Jahrzehnte das Leben schwer macht.

Licht blitzt auf, als William Stoner und die Doktorandin Katherine Driscoll sich auf das Heftigste ineinander verlieben. Doch auch dieses Glück ausgefüllter Stunden miteinander ist nicht von Dauer, denn Stoner beugt sich dem bürgerlichen Moralkodex der Zeit und traut sich nicht, Edith zu verlassen. – Auch seine Tochter Grace, um die er sich viele Jahre mehr oder weniger allein kümmert, verliert er: Edith zerstört die gute Verbindung zwischen den beiden, auch dies nimmt Stoner klaglos hin. Es gibt kein Aufbegehren von seiner Seite, auch nicht, als Grace als erwachsene Frau schließlich dem Alkohol verfällt. – Zum Ende seines Lebens zieht Stoner Bilanz…

William Stoner (stone = Stein) ist ein Durchschnittsmensch, ein Stoiker, der die Welt zum Teil seltsam entfernt wahrnimmt. Doch ist er schlussendlich im Leben gescheitert oder war es gut? Wer urteilt darüber, was ein gutes oder ein schlechtes Leben ist? Ist ein „richtiges“ Leben ein „glückliches“ Leben? – Und ein wenig beantwortet sich so vielleicht die Frage, warum dieser einfühlende Roman im Zeitalter der Selbstoptimierung so viel Zuspruch findet: John Williams wirft in „Stoner“ universelle und existenzielle Fragen auf. Und: Er verbeugt sich vor der Besonderheit jedes Einzelnen. Nicht abstrakt, sondern indem wir das Leben des William Stoner einfach lesend anschaulich vor Augen haben.

Rita Thies

 

John Williams, Stoner. Roman aus dem Amerikanischen von Bernhard Robben. Deutscher Taschenbuchverlag, München 2014 als Taschenbuch, 351 Seiten, 9,90 Euro)

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