Wer so entspannt von unten auf die Welt guckt, der muss schon den Überblick haben.
Die 1970 geborene, schon seit Kindertagen in Berlin lebende Schriftstellerin Katja Oskamp hat sich mit ihren Geschichten, die sie als Fußpflegerin erlebt hat, bei mir einen Dauerplatz im Bücherregal und Lesegedächtnis gesichert.
Mitte vierzig befindet sie sich als Schriftstellerin in einer Krise. Trotz diverser Auszeichnungen geht es nicht voran. Auf Vorschlag einer Freundin, die ein Kosmetikstudio betreibt, besucht Oskamp einen Fußpflegekursus. Eine Schriftstellerin, die nun zugleich als Fußpflegerin arbeitet. Eine, die mit Hornhautfräse und Hobel den Menschen nun an ihren untersten, oft vernachlässigten Körperteilen begegnet und dabei ganz genau auf das Leben ihrer Kundinnen und Kunden blickt.
In „Marzahn, mon amour“ entstehen aus diesen Begegnungen liebevolle Vignetten:
Da gibt es z.B. die 85jährige Frau Guse, die ihre Beerdigung schon bezahlt hat. „ … ihre Füße sind jetzt, nach der Behandlung, das Jüngste an der ganzen Frau.“ Oder Frau Blumeier. Diese, im Rollstuhl sitzend, ist nicht nur „Zustimmungskünstlerin“, sondern immer gut gelaunt. Und dann verliebt sie sich neu … Dagegen ist Herr Pietsch, ein ehemaliger Parteisekretär, auch als Kunde unangenehm. Er hängt an verlorener Macht und vergangenen Zeiten, anmaßend und unsympathisch. Kein Wunder, dass er allein ist. „Nicht nur zu seinen Verwandten, auch zu seinen Füßen hat Herr Pietsch keinen Kontakt.“ Katja Oskamp beherrscht in all diesen und noch weiteren Geschichten die Kunst, eben mit jener Souveränität, mit der sie den mehr oder weniger malträtierten Füßen anderer begegnet, auch die Geschichten der Menschen aus Marzahn zu erzählen. Humorvoll und unprätentiös kommen sie daher, ihre Geschichten. Und den Menschen und ihrem Stadtteil verschafft Katja Oskamp damit eine verdiente Aufmerksamkeit, die sich ansonsten viel zu häufig den selbstgerechten Befindlichkeiten der Bewohnerszene am Prenzlauer Berg zuwendet. Ich wünsche mir mehr davon in der deutschen Literatur.
Rita Thies