Nach Dank und Verabschiedung war zum Abschlussfest geladen – mit Tapas und Txakoli, dem baskischen Wein, zur musikalischen Begleitung durch „Gerontos Nuevos“ (Hartmut Boger am Bass und Michael Linemann mit der Ukulele). Der Abend wurde lang, zumal Michael Linemann Geburtstag hatte und auf Baskisch wie Deutsch mit Gesang beglückwünscht wurde. Er nahm’s mit Fassung. Vereinsvorsitzende Rita Thies erhielt von allen Seiten großes Lob für eine gelungene Veranstaltungsreihe „auf hohem Niveau“. Beñat Sarasola, der Autoren-Gast aus San Sebastián, unterhielt sich mit den verbliebenen Gästen zweisprachig: in Baskisch und auf Englisch. Viel Betrieb am Tresen, bis es dunkelte, alles aufgeräumt und eingepackt war, die letzten Gäste sich auf den Heimweg machten und den Burggarten – nun wieder literaturlos hinterließen.

Noch ist Beñat Sarasolas neuer Roman „Auf eine Cola mit dir“ nicht veröffentlicht, als der Förderverein Literaturhaus einen Auszug daraus ins Deutsche hat übersetzen lassen. Der 40jährige Autor aus Wiesbadens baskischer Partnerstadt San Sebastián ist Gast des diesjährigen  Literturfestival, das traditionellerweise in Kooperation mit dem Partnerschaftsverein „Wiesbaden – San Sebastián“  seinen Abschluss findet. Vereinsvorsitzende Rita Thies moderiert – teilweise auf Spanisch – die Veranstaltung; Hanns Jörg Krumpholz liest das übersetzte Kapitel, das die Liebe des amerikanischen Lyrikers Frank O’Hara zum Tänzer Vincent Warren zum Thema hat. Und dies nicht von ungefähr, beginnt O’Haras Gedicht „Having a Coke with You“ doch mit den Zeilen: „is even more fun than going to San Sebastián …“. Beñat Sarasola erzählt die reale Liebesgeschichte der beiden Männer in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts, die mit dem Unfalltod O’Haras 1966 enden sollte. Der baskische Autor fängt die Beziehung der beiden in einer Szene am Atlantik ein, die den Unterschied des Alters und der körperlichen Beweglichkeit, des Tänzers Angst, dass seine Gayness entdeckt werden könnte, wie auch eine bindende Innigkeit zwischen den beiden Männern deutlich macht. Und der Stimme Hanns Jörg Krumpholz hört man ohnehin immer gerne zu …

Autorin Iris Wolff lässt ihren neuen Roman „Lichtungen“ rückwärts laufen, d.h. im ersten Kapitel befinden sich die beiden Hauptfiguren Lev und Kato in der Gegenwart und kehren Kapitel für Kapitel in ihre rumänische Kindehit zurück. Manfred Beilharz, früherer Intendant des Wiesbadener Theaters, kehrt in seiner Lesung mit Rücksicht auf das Publikum diese Struktur um und liest die zarte Liebesgeschichte von Lev und Kato chronologisch vor mit Viola Pobitschka, seiner früheren Schauspielerin. Der Roman handelt einerseits von der Heimatverbundenheit der männlichen Figur Lev, andererseits von der Neugier der Freundin Kato, die den Westen erkunden will. Eines Tages ruft sie ihn nach Zürich: „Wann kommst du?“ ist keine rhetorische Frage – natürlich kommt Lev; und ebenso selbstverständlich kehrt sie mit ihm in das Land der gemeinsamen Herkunft wieder zurück. Eine eindrucksvoll leicht geschriebene Geschichte, mit Intensität und Geschmack vorgetragen.

Sphären-Töne unterbrechen die Stimmen von Moderator Christoph Nielbock, Schauspielerin Eva-Maria Damasko als Sprecherin der Buch-Texte und die kurzen Antworten von Autorin Alissa Walser bei Vorstellung ihres Romans „Am Anfang war die Nacht Musik“ – Andrés Bertomeu lässt sein Verrophon erklingen und auf der Glasharfe eine zauberische Stimmung entstehen. In den musikalischen Zwischenspielen wird es mucksmäuschenstill im Burggarten.

Ruhe bewahrt das Publikum auch während des weitschwingenden Charmes, mit dem Christoph Nielbock Autorin Alissa Walser manche Erklärung zu ihrem Roman zu entlocken sucht. Der Moderator kann das auch selbst und wird kraftvoll unterstützt von Sprecherin Eva-Maria Damasko. Der Abend verklingt mit Tönen aus Glas …

Einige Male zieht sich während der fünf Tage Literaturfestival 2024 der Himmel über Sonnenberg zu. Es dräut nicht nur Regen, sondern er ergießt sich auch. Das Publikum kennt’s aus den früheren Festivals, nimmt’s gelassen und zieht sich unter die – eigentlich gegen die Sonne gedachten – großen Schirme zurück. Ein paar wenige halten gar tropfnass mitten im Garten sitzend aus. Da wird ein kleiner Schirm gereicht.

Ein angekündigtes Gewitter macht Rita Thies, der Vorsitzenden des Fördervereins Literaturhaus, zwar Sorge – denn wohin mit dem Publikum bei Blitz und Donner? – es bleibt glücklicherweise über dem Burggarten aus. Und schöne Überraschung: Kurz nach dem Regenschauer kommt auch wieder die Sonne heraus. Die Abendlesung kann auf trockenen Stühlen und Bänken stattfinden.

Meist aber halten sich die Wolken während des Festivals ohnehin zurück und hören lieber zu – auch dann, wenn von ihnen selbst nicht die Rede ist, sondern von der Fiktion, die – dem Festival-Motto gemäß – nichts fürchtet.

Der Schweizer Autor Alex Capus verbat sich für seinen Auftritt auf dem Literaturfestival im Burggarten Sonnenberg jegliche Moderation. Jutta Leimbert, Inhaberin der Buchhandlung Vaternahm, die den Kontakt zu ihm aufgenommen hatte, erwischt ihn dennoch in ihrer Begrüßung, indem sie seinen eigenen früheren Text über die Notwendigkeit, eine Moderation seines Auftritts abzuweisen, vorträgt. Viel Schmunzeln im Publikum; der Autor ist überrascht, trägt es aber mit Fassung, ehe er Platz nimmt auf dem schmalen Bar-Schemel und den Inhalt seines neuen Buches „Das kleine Haus am Sonnenhang“ einfach eine gute Stunde lang locker und leicht erzählt. Capus erinnert sich an seinen Aufenthalt im kleinen Haus im italienischen Piemont der 90er Jahre, als er sein erstes Buch noch vor sich hatte, mit der Freundin noch nicht verheiratet war, man ungestört in der Kneipe rauchen konnte und von keinem Smartphone oder sonstigem Internetanschluss abgelenkt war. Das Publikum hörte seiner freien Rede in gemächlichem Tonfall begeistert zu.

Zwischen 15 Uhr mit Beginn der Lesungs-Programme und 19:30 Uhr, wenn die letzte Veranstaltung eines Tages angesagt ist, ist immer wieder Zeit, Freund*innen auf den verschiedenen Ebenen des Sonnenberger Burggartens zu treffen, mit ihnen ein kurzes Schwätzchen zu halten, sich in die Schlange am Kiosk für eine Tasse Kaffee mit Kuchen, oder auch ein Glas Wein einzureihen, oder an den Bücherständen von Förderverein und inhaber*ingeführten Buchhandlungen zu schmökern und sich mit neuer Literatur zu versorgen.

Eine stabile Frauen- und Mannschaft hinter dem Tresen wacht derweil über genügend Vorräte für Hungrige und Durstige, allen voran Peter Bingel als ruhender Pol im Getriebe und versierter Txakoli-Ausschenker, Iris Blaul gemeinsam mit Wenzel Mayer als Zauberin aller Tapas-Platten, unterstützt von vielen kuchenbackenden Mitgliedern des Fördervereins, die hinter dem Tresen leichterhand die Verwandlung in Küchenpersonal vollziehen. Ohne diese Unterstützung liefe nichts – tut es aber – wie am Schnürchen für die körperliche Versorgung der neugierigen Literaturgeister.

Dorothea Hartmann und Beate Heine, Wiesbadens neue Intendantinnen, brachten als „Literatur, auch zum Spielen“ mit: Die autobiografische Erzählung der französischen Anthropologin Nastassja Martin „An das Wilde glauben“, den Roman „Revolution“ von Viktor Martinowitsch aus Belarus, „Dschinns“, verfasst von der türkisch-kurdischen Autorin Fatma Aydemir und „Tanz der Teufel“, das Buch des kongolesisch-österreichischen Autors Fiston Mwanza Mujila. Was ein Text mitbringen müsse, um auf der Bühne adaptiert werden zu können?, fragte Moderatorin Viola Bolduan. „Gut“ müsse er sein, antwortete Beate Heine, eine „musikalische Qualität“ besitzen, ergänzte Dorothea Hartmann, die an der Deutschen Oper Berlin „An das Wilde glauben“ unter dem berlinspezifischen Titel „Bärin“ als Musiktheater herausgebracht hat. Überhaupt: Literatur aller Art böte sich als „Steinbruch“ für Theater immer dann an, wenn Regisseur*innen aus ihr heraus etwas für die Bühne entdecken könnten. Mit Fiston Mwanza Mujila sei man über eine künftige Zusammenarbeit für das Wiesbadener Theater im Gespräch. Eva-Maria Damasko und Andreas Mach – beide früher im Wiesbadener Schauspiel-Ensemble – lasen Passagen aus den jeweiligen Büchern. Der Besuch der neuen Intendantinnen traf auf ein großes neugieriges Publikum.

John von Düffel hat während der Intendantenjahre Manfred Beilharz‘ in Wiesbaden als Dramatiker und Dramaturg mehrere Uraufführungen eigener Stücke, darunter „Kur-Guerilla“, und Stückbearbeitungen verantwortet. Zum Literaturfestival 2024 brachte er seinen Roman „Goethe ruft an“ aus dem Jahr 2011 mit und sprach mit Moderatorin Viola Bolduan über die ,Großschriftsteller‘ und deren Pendants der erfolglosen Autoren im Literaturbetrieb. Im Roman schickt ein solcher ,Großschriftsteller‘ einen Unbekannten der Zunft an seiner statt als Leiter eines Schreibkurses über das „Leichtschreiben“ in den Spreewald. Wasser spielt eine beruhigende Rolle im Buch, indem das Element zu poetischer Naturbeschreibung auffordert. John von Düffel las aus seiner Satire zu großem Amüsement des Publikums. Eine Goethe-Formel, wie ,leicht‘ zu schreiben wäre, habe er zwar nicht, dennoch schreibe er gern. John von Düffel schreibt auch viel, wozu ihm als künftigen Intendanten in Bamberg (2025) hoffentlich noch Zeit bleiben wird.

Lizzie Doron erzählte zur Eröffnung des Literaturfestivals „Ins Offene 4“ im Gespräch mit Moderator Stefan Schröder von den Vorgeschichten zu ihren Romanen „Sweet Occupation“ und „Nur nicht zu den Löwen“, sprach über ihre eigene Kindheit und Familiengeschichte, in der der Holocaust verschwiegen wurde. Als Erwachsene lernt sie in Israel einen ehemaligen palästinensischen Terroristen kennen, der sich zu einem Kämpfer für den Frieden gewandelt hat. Noch heute ist sie, deren Bücher in Israel nicht erscheinen, mit ihm befreundet. Schauspielerin Franziska Geyer las aus beiden Romanen. Das beeindruckte Publikum hörte im Anschluss auf dem Eröffnungsfest – trotz aller Gespräche untereinander – doch auch aufmerksam den abwechslungsreichen Musikstücken des Wiesbadener Blechbläserquartetts unter der Leitung von Joachim Tobschall zu.