Es liest Armin Conrad / Texte: Viola Bolduan
Technische Unterstützung und Suppenrezept: Karina Bertagnolli (marixverlag)
Amerika hatte ihn wohl nötig, diesen Mann, der auf Gesellschaft und Obrigkeit pfiff, stattdessen Sonne und Mond zusah, mit Blumen und Bäumen sprach Mitte des 19. Jahrhunderts in seiner Hütte am Walden Pond bei Concord in Massachusetts. Dorthin zog sich Henry David Thoreau über zwei Jahre lang zurück, wie er es ein Jahrzehnt und sieben Manuskriptfassungen später in seinem Buch „Walden. Oder das Leben in den Wäldern“ beschreibt. Seitdem gilt Henry David Thoreau als Guru aller Naturapostel, steht Pate für Flower-Power, ist Gewährsmann aller Öko- und Anti-Bewegungen, Vorbild für Aussteiger, Rebellen, passive Widerständler – und gefeierter Autor.
Auf die Damen der Literatur legt er offensichtlich weniger Wert – sein Verhältnis zu Frauen gilt ohnehin als ausgesprochen distanziert, was seinem Streben nach Einsamkeit durchaus zuträglich ist. Geheiratet hat er nie. Auch ganz generell erweist sich Thoreau als ausgesprochen menschenscheu, lieber sitzt er auf Baumstümpfen, erzählt von sich und will mit dieser Erzählung überzeugen.
Ein Zimmer freilich, von dem Blaise Pascal meint, dass „das ganze Unglück der Menschen allein daher rührt, dass sie nicht ruhig in ihm zu bleiben vermögen“, ist für Thoreau fast schon zu viel der Zivilisation. Der Wald, den er dem geschlossenen Raum vorzieht, ist allerdings keine echte Wildnis, und das Zimmer, das er dann dort doch bezieht, eine ganz gut eingerichtete Blockhütte.
Henry David Thoreau, 1817–1862, kann sich seinen Lebensstil als eigenbrötlerischer Freizeit-Eremit leisten: Nach Studium in Harvard und kurz ausgeübtem Lehramt zieht er ins stattliche Anwesen des Schriftsteller- und ebenfalls Natur-Freundes Ralph Waldo Emerson nach Concord. Das Städtchen in der Nähe Bostons ist zu der Zeit eine Art amerikanisches Weimar – Emerson gründet hier eine neue philosophische Bewegung und versammelt viele Autoren-Kollegen um sich. Es ist seine Blockhütte auf seinem Gelände, fußläufig von der Stadt aus erreichbar, idyllisch am See gelegen, in der Thoreau mit Lebensmitteln von zu Hause versorgt, sein persönliches Freiheitsgefühl auslebt. Die Mutter bringt Kuchen vorbei …
Davon handeln seine Schriften nicht. In ihnen propagiert Thoreau ein asketisches Leben, das unabhängig geführt, sich selbst genügen, die Natur achten, die Kunst schätzen und den Individualismus feiern soll.
Das Thoreau-Buch aus dem marixverlag versammelt aus „Walden“, „Über die Pflicht zum Ungehorsam“, Tagebüchern und Essays Zitate als aphoristische Sentenzen.
Thoreau ist ein studierter und belesener Mann mit zähem Bemühen, seine Gelehr- und Beredsamkeit mit seiner Sehnsucht nach Ursprünglichkeit zu vereinen.
Weshalb vielleicht er selbst ein Genie, Goethe es in seinen Augen aber nicht ist. Wie Jean-Jacques Rousseau („zurück zur Natur“) strebt auch Thoreau nach einer naturbelassenen Ursprünglichkeit in Erziehung und Bildung der Menschen, der es, wie er meint, im Falle Goethes mangele. Schiller übrigens hätte ihm heftig widersprochen, Thoreaus Tadel auf sich selbst bezogen und Goethes „Naivität“ bewundert, hätte der Amerikaner denn Schillers „Über naive und sentimentalische Dichtung“ herangezogen. Er aber zieht seinen Schluss aus Goethes „Wilhelm Meister“ und meint, in diesem autobiografischen Roman stecke zu viel der Kunst, die er mit Künstlichkeit gleichsetzt.
Für Thoreau erzieht der Mensch sich am besten selbst. Und zwar durch intensive Wahrnehmung der Natur und ein Vertrauen auf die menschlichen natürlichen Kräfte. Aus ihnen erwachse alles andere. Kurioserweise beruft er sich dabei auf Immanuel Kant, der freilich als Instrument zur Selbsterkenntnis an den menschlichen Verstand gedacht hatte. Das auch aus Nachdenken etwas entstehen kann, beweist zwar Thoreau höchst selbst – sonst hätte er ja keine Schriften hinterlassen – bleibt aber skeptisch gegenüber den Möglichkeiten und Wirkungen von Theorie und Abstraktion.
Und da die Menschen offensichtlich nie ganz wach sein können, unterliegen sie der Gefahr, sich vereinnahmen zu lassen – vor allem durch den Staat. Hier ist Thoreau ein entschiedener Gegner. Sein Essay „Über die Pflicht zum Ungehorsam gegenüber dem Staat“ ist ein flammender Aufruf, sich ungebührlichen Gesetzen zu widersetzen, stattdessen das Recht des Individuums einzufordern und für es zu kämpfen. Dieses Fanal für die freie eigene Entscheidung gegen staatliche Verordnung sollte viele Anhänger finden. Jeder gewaltfreie Widerstand, jeder zivile Ungehorsam nach Thoreau kann sich auf ihn berufen und hat es von Mahatma Gandhi bis Martin Luther King getan. Auch heute in Zeiten verordneter Freiheits-Beschränkung als Schutz vor Corona-Ansteckung mögen Thoreaus Postulate durchaus ihre Freundinnen und Freunde finden.
Thoreau plädiert für politisches Engagement, das sich nicht mit einer Stimmabgabe bei sporadisch stattfindenden Wahlen begnügt und jedem Mehrheitsbeschluss misstraut. Thoreau glaubt an die Fähigkeit, Möglichkeit und Durchsetzungskraft des Individuums, und dass sich das Individuum nie und nimmer und niemandem zu beugen habe.
Ja, Henry David Thoreau sitzt im Gefängnis. 1846 verweigert er dem Staat Massachusetts seine Steuern, weil das Geld den Krieg gegen Mexiko und der Aufrechterhaltung der Sklaverei finanziere. Nun – die Steuerschuld war zwar schon ein paar Jahre älter als der gerade begonnene Krieg, und es war auch nur eines Tages Aufenthalt hinter Gitter – gleichwohl avanciert Thoreaus Schrift nicht nur zu einer Art Bibel für zivilen Ungehorsam, sondern ist gleichzeitig auch eine Streitschrift für die Selbstbehauptung des Individuums.
Thoreaus eigene Art zu atmen, ist dabei nicht ohne Widerspruch. Er möchte seine Gedanken „wie wilde Äpfel“ im Freien verteilen und dem Zirpen der Grille zuhören und findet sich denn doch auf den vielen Vortragsreisen ganz gern in geschlossenen Hörsälen ein, um mitzuteilen, dass dem Zirpen der Grille zuzuhören bedeutungsvoller sei – auch als ihn zu hören, wenn er seine Maxime vom einfachen Leben am Katheder weitergibt?
Henry David Thoreau hat seine Maximen durchaus in der Praxis erprobt – insofern ist er konsequent. Und wir können ihm auch in der praktischen Umsetzung seiner Sentenzen zur Literatur getrost folgen.
Auch wenn sich der bibelfeste Autor an dieser Stelle eine befremdlich götternahe Position einräumt, setzen wir seine Schlussfolgerung im Förderverein Literaturhaus doch gerne um, indem hier Schweigen gebrochen, über Bücher also gesprochen wird. In dieser Suppenlesung haben wir es versucht mit und über Passagen aus seinen eigenen Büchern. Hören wir zum Schluss Thoreaus enthusiasmierte Eloge auf sich selbst im Einklang mit der Natur.
Ehe aber die Götter sich zu ihm auf die Grasnarbe setzen und hören, wie Henry David Thoreau in noch hymnischeren Tonfall verfällt, soll er geehrt werden für die Schlichtheit des in diesem Podcast zweitletzten Satzes.
Und mit dem letzten Satz lassen wir Thoreau sich selbst interpretieren.
Thoreau stirbt am 6. Mai 1862 an verschleppter Tuberkulose im Alter von erst 44 Jahren. Sein Denken und sein Leben hatten ihn gelehrt, dem Tod ohne Angst entgegenzutreten. Der Nachhall seiner Schriften dauert an bis heute.
Nachlesen können Sie die zitierten Passagen im Band: Henry David Thoreau: „Wenn wir uns von unseren Träumen leiten lassen. Spitze Ungehorsamkeiten“ (6 Euro), wenn Sie ihn unter bertagnolli@verlagshausroemerweg.de bestellen. Als Suppe vor oder nach der Lektüre empfiehlt Karina Bertagnolli:
2 Personen / ca. 30 min.
150 g gemischte Wildkräuter
2 Frühlingszwiebeln
50 ml Olivenöl
500 ml Gemüsebrühe
2 Esslöffel Mandelstifte oder Mandelblätter
Pfeffer aus der Mühle
Salz
8 Scheiben Vollkornbaguette
200 ml pflanzliche Sahne (z.B. Hafersahne)
Gut geeignet für die Suppe sind neben zarten Brennnesseln (am besten nur die Spitzen nehmen) auch Löwenzahn und Pimpinelle. Ergänzen kann man die Auswahl mit Kräutern aus dem Garten, wie Borretsch oder Sauerampfer und auch mit gekauften Kräutern wie Rucola oder Kerbel.
Den Backofen auf 220 Grad vorheizen.
Von den Kräutern die dicken Stiele entfernen. Die Blätter waschen, trockenschütteln und fein hacken. Die Frühlingszwiebeln putzen und mitsamt ihrem Grün in feine Ringe schneiden.
In einem mittleren Topf das Olivenöl erhitzen. Die Frühlingszwiebeln darin bei mittlerer Hitze unter Rühren andünsten. Die Gemüsebrühe hinzugeben und aufkochen. Die Suppe offen etwa 10 Minuten kochen lassen.
Mandeln grob hacken und mit ¼ der Kräuter, sowie dem Öl verrühren, mit reichlich Pfeffer und ein wenig Salz würzen. Die Mischung auf die Baguette-Scheiben streichen und diese auf ein Blech legen.
Die Brote im 220 Grad heißen Ofen auf der mittleren Schiene etwa 4 Minuten backen, bis die Oberfläche leicht gebräunt ist.
Inzwischen die Kräuter unter die Suppe rühren und alles kräftig aufkochen und einige Minuten kochen lassen. Am Ende die pflanzliche Sahne unterrühren und die Suppe mit Salz und Pfeffer abschmecken.
In Suppenschalen anrichten und die Crostini separat dazu servieren.
Guten Appetit!
Edgar Allan Poe – Erfinder neuer literarischer Genres
Es liest: Armin Conrad / Texte: Rita Thies /
Technische Unterstützung und Suppenrezept: Karina Bertagnolli (marixverlag)
1809 in Boston geboren, wird der Sohn des Schauspielerehepaars Elizabeth und David Poe schon im Alter von zwei Jahren zur Vollwaise. Poe wird von dem vermögenden Tabakhändler John Allan in dessen Familie aufgenommen und kann als junger Mann in Charlottesville studieren. Das Verhältnis zu John Allan ist jedoch nicht das beste, der Geschäftsmann will die aufwändige Lebensführung seines Zöglings nicht unterstützen. Denn der junge Edgar Allan Poe verprasst viel Geld beim Trinken und beim Spielen, schließlich bricht er das Studium ab. Was folgt, sind Verschuldung, Flucht vor den Gläubigern, Annahme eines falschen Namens, Verpflichtung in der Armee, Freikauf aus dieser. Kurz, ein Leben, das – ebenso wie seine ungeklärten Todesumstände im Jahr 1849 – selbst genügend Stoff für Geschichten liefert.
Schließlich versucht er, sein Geld als freischaffender Schriftsteller zu verdienen, ein Unternehmen, das bekanntermaßen bis heute nicht einfach ist. Poe hat Zeit seines Lebens Existenznot. Als Kritiker ist er gefürchtet und macht sich viele Feinde. Doch Kurzprosa kommt in Mode und so kann er auf dem boomenden Zeitungs- und Zeitschriftenmarkt seine Geschichten unterbringen. Fantastische Schauergeschichten, die auch heute noch gern gelesen und gehört werden. Denn das Faszinierende an ihnen ist das Spiel zwischen Realität und menschlichen Ängsten, der diffuse Raum zwischen Albträumen, Obsessionen und dem, was auch bei Licht geschehen mag.
Die Trunksucht – auch Poe hat in seinem Leben immer wieder Probleme mit dem Alkohol … Aus den Dämonen entsteht das Grauen.
Effektvoll inszenierte Gräuel, mit Geschichten, die sich manchmal auch in den Bereich des Unmöglichen wagen, mit ihnen wird er zum Vater der Horrorliteratur. Doch damit nicht genug, Edgar Allan Poe begründet zudem den Detektivroman. Sein exzentrischer Ermittler Auguste Dupin, den er 1841 in seiner Erzählung „Der Doppelmord/Die Mordtat in der Rue Morgue“ vorstellt, löst den Fall durch Nachdenken, Analyse und Kombinatorik. „Er findet Gefallen an Denkaufgaben, an Rätseln, an Hieroglyphen, und bei ihrer aller Lösung legt er einen Grad von Scharfsinn an den Tag …“, so Poe in seinem theoretischen Vorwort zu der Geschichte. Seinem Dupin stellt er einen namenlosen Bewunderer und Freund an die Seite, der dem/der geneigten Leser/in die Story erzählt. So kann er die geistigen Spitzenleistungen seines Superhirns Dupin noch mehr hervorheben. Nicht allein Arthur Conan Doyle kopiert später mit Sherlock Holmes und Dr. Watson diese interessante Figurenaufstellung.
Hören Sie einen Auszug aus „Die Mordtat in der Rue Morgue“, gleich zu Beginn der Geschichte wird Auguste Dupin vorgestellt.
Zeitlich gesehen wären wir hier beim Live-Programm in der Villa Clementine schon am Ende angekommen. Doch angesichts der weltweiten Ausnahmesituation durch die Corona-Pandemie haben wir noch eine weitere Erzählung aufbereitet, die Sie in dem Band mit Geschichten von Edgar Ellen Poe im Wiesbadener marixverlag finden: „Die Maske des roten Todes“.
Nur so viel zum Hintergrund: Der Autor war 1831 Zeuge der großen Cholera-Epidemie in Baltimore. Der „rote Tod“ steht für eine infektiöse, schwere Fiebererkrankung, die von Blutungen begleitet ist. Es ist eine Geschichte, die zu unserer Zeit passt, sie erzählt von all denen, die sich unangreifbar und sicher wähnen.
Hören Sie „Die Maske des roten Todes“:
Nachlesen können Sie alle diese und weitere Geschichten in dem oben erwähnten Band „Edgar Allan Poe: Der Goldkäfer. Unheimliche Geschichten“ (6 Euro)
Sie können den Band unter bertagnolli@verlagshausroemerweg.de bestellen und finden diesen in wenigen Tagen in Ihrem Briefkasten.
2 Personen / ca. 30 min.
300g gefrorener Spinat
200g gefrorene Erbsen
1 Dose weiße Bohnen
1 Zwiebel in kleine Würfel geschnitten
1 Knoblauchzehe, fein gehackt
1 Dose Kokosmilch
etwas Salz